LIEBE DEINEN NÄCHSTEN Noah Fitz Thriller (German Edition)
gab an, dass sie von dem Unfall nicht viel mitbekommen hatten, auch den Übergriff verschwiegen sie. Die Nachbarin schlief immer noch, als die Beamten zurück in die Wohnung kamen.
Als Lisa sich heute zum zweiten Mal umzog und Raphael sich mehr oder weniger das Blut und den Dreck wegwaschen konnte, weckte Lisa die Frau Nachbarin.
Da Frau Blumenweiß des Öfteren einen über den Durst trank und die vergangenen Tage nicht immer richtig in Erinnerung hatte, erzählten die Beamten, dass sie Raphael für den Verbrecher gehalten hatte und der Rest gar nicht stimmte. Auch die Tüte über dem Kopf war nur ein böser Traum gewesen, versicherte ihr Glück, wofür sie sich erbärmlich schämte.
Mit gerümpfter Nase schaute Frau Blumenweiß Raphael abschätzend an, er sah in diesem Augenblick einem Verbrecher wirklich sehr ähnlich, schimpfend und schlaftrunken schickte sie sich zum Gehen an. Ihr zerzaustes und weißes Haar glattstreichend, torkelte die alte Dame, noch vom Tee berauscht, schlaftrunken aus Lisas Wohnzimmer hinaus.
Als die Nachbarin sich in ihre Gemächer begab, um sich wieder zu berauschen, machten sich die Beamten über die Reste in der Kühlbox her. Sie hatten den kaputten Behälter vor dem Eintreffen der Polizei zusammengesammelt und in die Wohnung geschafft.
Raphael blieb abrupt wie ein kaputter Roboter stehen, ließ sich auf den daneben stehenden Stuhl nieder.
„Die ist nicht da.“ Der Frosch in seinem Hals drückte ihm fast die ganze Luft, die er zum Atmen jetzt bitter nötig hatte, ab.
Dann streckte er seine Hand aus, in der Box lag ein zerknüllter Zettel. Raphael wusste ungefähr, was es zu bedeuten hatte.
Lisa nahm das Knäuel aus Papier an sich, faltete es vorsichtig auseinander und las laut vor. Die Buchstaben waren vom Regen verschwommen, darum las sie sehr langsam.
„Befolge die Spielregeln. Nur du und Lisa. Halte dich daran!“
Mehr stand nicht darauf. Lisa starrte Raphael, der zu einer Wachsfigur geworden war, an.
„Aber wie hat er es ...“ Sie brach mitten im Satz ab. Ihre Kehle war trocken wie der Sand in der Sahara, das bisschen Speichel reichte gerade noch, um nicht zu ersticken.
*****
Auch Raphaels Sohn rang nach Luft.
„Na, kleiner Raphael, dein Papa hat einen beschissenen Kommissar abgegeben. Was? Was sagst du? Dachte ich mir doch, du bist genauso feige wie dein Daddy.“
Raphaels Sohn h ing angekettet an einem schlecht gezimmerten Kreuz.
Er lebte. Sein Zustand würde zeitlich begrenzt sein, das wusste Jochen. Er war nackt, die Konvulsion verursachte ihm unheimliche Schmerzen. Die Muskeln spannten sich, zerrten an Armen und Beinen. Jochen krümmte sich und versuchte zu schreien. Es gelang ihm nicht. Ein vor Schmutz triefender Lappen steckte in seinem Mund. Seine Lippen bluteten, und das Kiefergelenk war kurz vorm Zerbersten. Ein metallischer Geschmack kroch ihm zuerst bis zum Gaumen, dann höher bis in die Nase. Die unerträgliche Kälte drang bis in das Mark durch. Seine Muskeln zitterten am ganzen Körper. Er hörte, wie der Regen gegen die verstaubten Scheiben prasselte. Ein dünner Wasserstrahl lief ihm kalt über die Schulter. ' Das Dach muss undicht sein' , dachte er benommen. Er konnte nicht ausmachen, wo er sich befand. Es sah alles schäbig und alt aus. Überall hingen riesige Spinnweben, es roch nach altem und verbranntem Holz. Er war in seinem Bewegungsradius beschränkt. Seine Gliedmaßen waren taub, er spürte seine Hände und Füße nicht. Das schummrige Licht unterstrich seine ausweglose Lage, die ihm Todesangst einjagte.
Wie lange war er weg gewesen? Wo war er überhaupt? Er wollte heute nur seinen Vater überraschen. Er wusste, dass Raphael beurlaubt wurde und dass ein Besuch schon längst überfällig war.
Er hatte immer noch ein schlechtes Gewissen, da er seinen Vater nicht einmal an seinem Geburtstag besucht hatte.
Jochen rief deswegen Vaters besten Freund an, damit er ihn vom Flughafen abholen konnte. Er ließ sich entschuldigen, hatte keine Zeit. Jochen nahm ein Taxi ... danach ... danach?
' Was war denn dann geschehen? ' Er wusste es nicht mehr. Nur Schwärze und Leere.
Plötzlich musste Raphaels Sohn gegen einen Würgereflex ankämpfen, denn der metallische Geschmack ließ sich mit dem von Blut assoziieren. ' Etwa mit meinem eigenen?' Jochen versuchte den Lappen mit der Zunge hinauszudrücken. Das Geschmacksorgan war einfach zu schwach. Als er dann den Versuch unternahm, den verdammten Pfropfen durch Zubeißen kleiner zu
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