LIEBE DEINEN NÄCHSTEN Noah Fitz Thriller (German Edition)

herausfinde“, murmelte Raphael und verzog einen seiner Mundwinkel, bedacht auf Vorsicht. Er grinste mit seiner unverletzten Seite. Trotzdem tat es noch verdammt weh. Morgenstern keuchte vor Schmerz.
    'Die Farben seiner Visage werden in dezenten Farbtönen gehalten, von rotbraun bis gelbgrün. Berufsrisiko eben' , dachte sie und wischte solch blöde Gedanken, die sogar ihr selbst peinlich waren, mit einer imaginären Handbewegung zur Seite.
    „Nun spuck schon aus, Raphael, was verstehst du nicht? Ich verstehe momentan noch weniger als du, nämlich absolut gar nichts.“
    „Damals hat die Sache abrupt sein Ende genommen, ohne ... ich hoffe, dass mein Gedankengang nicht ganz falsch ist“, Morgenstern schluckte, „... ohne dass er die Serientat beenden konnte. Etwas kam ihm dazwischen. Kurz danach kam die Sache mit dem Geiselmörder, vielleicht wollte er die ganze Aufmerksamkeit nur allein für sich behalten und wartete ab, bis wir mit den Familien der armen Opfer fertig waren? Oder wir waren ihm schon vorher zu dicht auf den Fersen, und er bekam es irgendwann mit der Angst zu tun, tauchte unter, um bei einem günstigeren Moment mit etwas anderem weiter seine Krone zu schmücken. Das hier ist ganz was anderes. Alle Mädchen von damals waren Prostituierte, illegale Einwanderer. Ich meine jetzt nicht den Fall, bei dem du fast ums Leben kamst, sondern wegen dem wir solche Schwierigkeiten hatten, ich und Dieter meine ich, lange vor dir. Bis auf das letzte Opfer, die gewisse Sofia Rache, sie passte in keinster Weise in sein Beuteschema, alle waren nach gleichem Muster getötet worden und an einem bestimmten Ort nach einem brutalen Ritual präsentiert. Alle hatten eine individuelle Verletzung, die tödlich war, keine von den Frauen wurde zerstückelt, die Leichen lagen in obszönen Posen da, als wir sie fanden. Nur die aufgebrochenen Schädeldecken waren bei jedem der Opfer gleich. Das, was solche Menschen wie unser Gesuchter unter Liebe und Zuneigung versteht, all das spiegelte sich in seiner letzten Komposition wieder. Jedes Detail war sorgfältig und durchdacht ausgeführt, alles war symmetrisch und in gleichen Abständen zum Torso platziert. So, als wäre es ein Kunstobjekt. Er hatte viel Zeit mit der Darbietung verbracht, es glich nicht der Serientat an den fünf anderen toten Frauen. Dennoch war die Handschrift dieselbe. Auch wenn er bei der armen Frau peinlichst auf jedes noch so kleine Detail geachtet hatte, so hofften wir, dass er bei seiner Spurenbeseitigung nicht so penibel war. Wir hatten uns getäuscht. Wir fanden keinerlei Spuren oder Hinweise, auch keine Indizien, absolut nichts, was uns zu dem Mörder führen konnte, obwohl er so viel Zeit mit ihr verbracht hatte.“
    „Wie kommt ihr darauf, dass er seine Untaten nicht von sich aus beendet hatte? Vielleicht war genau das die Krönung, also der krönende Abschluss seines Werks. Vielleicht war sie seine Muse, die ihn inspirierte, als sie dann schließlich von ihm selbst geschändet und ermordet wurde, verlor er das Verlangen, den Drang zum Töten, und hörte damit einfach auf?“
    „Nein, kein Künstler, egal wie verrückt er auch sein mag, will unbeobachtet links liegen gelassen werden, vor allem nicht, wenn er so ein aufsehenerregendes Kunststück erschaffen hat. Nein, er wollte etwas Größeres, etwas noch nie Dagewesenes, in seinen Augen natürlich, vollbringen. Nur bei seiner letzten Tat musste etwas schief gelaufen sein.“
    „Vielleicht hat er sich in sie verliebt?“ Lisa dachte nur laut. ‚Trotzdem könnte es auch einer der Gründe sein‘, überlegte sie.
    „Nein, ich denke, ihm fiel es schwer, ein würdigeres Opfer zu finden als die Sofia Rache. Sein letzter Akt war zu perfekt. Um seine perverse Komposition aus Frau und Tod zu toppen, musste er noch kreativer, aber auch vorsichtiger werden, das bereitete zu viel Stress. Darum ging er vorläufig in den Untergrund. All das hier sind nicht seine Taten. Es ist zu brachial, zu straight ahead, hier fehlt die perverse Grazie, das filigrane Etwas. Bis auf die abgetrennten Gliedmaßen hat das Ganze hier absolut nichts gemeinsames mit dem ‚Dekorateur‘, so wurde der Serienmörder intern von der Polizei später genannt. Damals handelte er allein, jetzt haben wir es mit einer Organisation zu tun. Auch wenn sein terroristischer Geheimbund nur aus wenigen Personen bestehen mag. Genauso gut kann ich auch danebenliegen. Vielleicht steht er einfach unter Zeitdruck, vielleicht ist er sterbenskrank und will