LIEBE DEINEN NÄCHSTEN Noah Fitz Thriller (German Edition)
Körperbau. War auch nicht so robust wie der andere. Er sah auch nicht mehr sehr frisch aus, seine kurz geschnittenen, sonst so gepflegten blonden Haare waren von einer grauen Rußschicht bedeckt, auch sein Gesicht war verschmiert, nur die blauen Augen glänzten wie immer. Michael war einer der Menschen, dessen Augen einem Feind eine Heidenangst einjagen konnten und einen Freund in Sicherheit wiegen, ohne dass ihr Besitzer auch nur ein Wort sprach.
Der Rechtsmediziner suchte nach der Spritze, er tastete mit den Augen Jochens Körper ab, es dauerte nur wenige Millisekunden. Jochen kamen sie wie eine Ewigkeit vor.
Der muskulöse Mann zog die Spritze nicht mit einem Ruck heraus, er brach zuerst etwas ab, was es war, konnte Jochen natürlich nicht sehen, dann spürte er, wie der Druck in seiner Ader nachließ. ‚ Er zieht die Luft heraus‘ , vermutete er richtig, dann kam auch schon die Nadel heraus. Sein Retter roch wie ein Feuerwehrmann nach Rauch, Staub und Leben.
Als die Gefahr gebannt war, lief er zu dem alten Mann. Nach einer Umrundung b egann Michael hinter dem Rücken des Greises etwas zu lösen. Raphaels bester Freund fand endlich das eine Ende des Stacheldrahts. Michael fluchte schon wieder in seiner Muttersprache. Die Russen pflegten ihre Schimpfwörter in solchen Situationen zu benutzen, um sich zu konzentrieren, damit entluden sie die negative Energie aus ihrem Körper. Raphael belehrte einst Jochen lachend, als Michael beim Grillen sich den Finger verbrannte und lauthals fluchte. Dem jungen Mann wurde es wieder warm ums Herz, als er sich halbwegs in Sicherheit wiegte.
Der Rechtsmediziner sah besorgt aus. Seine Stirn war von vielen feinen Fältchen übersät. Angestrengt fingerte er am gefesselten, dem Tode geweihten Priester herum.
Michael war sonst ein lieber Kerl, er war Raphaels bester Freund und wusste sich immer gut zu benehmen. Jochen mochte den Mann, er half seinem Vater, über den Tod seiner Mutter hinwegzukommen, sogar Jochen, sein Sohn, ließ ihn damals im Stich, Michael aber nicht.
Langsam drehte Michael den Draht vom malträtierten Körper des Klerikers, irgendwann begann der schlaffe Körper nach vorne abzusacken. Der Rechtsmediziner hatte Mühe bei seinem Vorhaben. Mit einer Hand hielt er den sterbenden Körper, mit der anderen zog er behutsam an den stacheligen Fesseln.
Ein Keuchen entfuhr dem tot geglaubten Gläubigen.
„Er lebt“, murmelte Michael leicht, so als hätte Jochen ihn danach gefragt. Behutsam legte er den gebrochenen Kleriker auf den verstaubten Dielenboden.
Danach ging er sofort zum gekreuzigten Jochen. Michael war als junger Soldat bei der russischen Armee in Tschetschenien gewesen. Als verängstigter Arztsoldat half er seinen Kameraden im Krieg. Er kannte sich auch mit vielen tödlichen, vom Feind wie vom Freund aufgestellten hinterlistigen Fallen sehr gut aus. Viele seine Freunde starben, als sie hastig die Gefangenen befreien wollten. Oft waren die jungen Soldaten an Minen oder Granaten gefesselt, die bei einer hastigen Befreiungsaktion hochgingen und noch mehr Menschen in den Tod rissen.
Entsprechend vorsichtig ging er auch bei Jochen an die Arbeit. Als er seine Beine losband, sah er einen Schalter, den undefinierbaren Taster hielt er ständig gedrückt und verband ihn notdürftig mit dem zerknüllten Klebeband.
„Ein Fernzünder“, klärte ihn Michael auf. Er versuchte Ruhe und Gelassenheit auszustrahlen, dichte Schweißperlen auf seiner Nase verrieten aber, dass er seiner Sache nicht so sicher war.
Als alle Fesseln fielen und Jochen am Boden lag, fing sein tauber Körper zu kribbeln an, langsam begann er seine Hände und Füße zu spüren. Als die Glieder mit frischem Blut versorgt wurden, schrie er vor höllischem Schmerz. Es war so, als würde jemand ihm in die nun befreiten Extremitäten tausend brennende Nadeln tief in das nun nicht mehr taube Fleisch jagen. All seine Gelenke schmerzten, es war so, als bräche man ihm all seine Knochen. Michael rannte nach draußen und kam mit einer Tasche wieder herein. Jochen spürte, wie etwas Spitzes seine Haut durchstach, es war eine Spritze. Kurz darauf ließen die Höllenqualen leicht nach. Die zweite Injektion bekam der Priester. Sein Atem wurde fester und gleichmäßiger. Erst jetzt griff Michael zum Telefon und fragte Jochen nach der Nummer seines Vaters.
Plötzlich raschelte es, so als löse sich ein Stück Plastik oder Klebeband ... Es war Klebeband!
Ein Klacken ertönte.
Michael warf sich ohne zu
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