LIEBE DEINEN NÄCHSTEN Noah Fitz Thriller (German Edition)
blinden Augen ...“ Sein Körper erschlaffte, und der Handgriff wurde lockerer, die Finger schlossen und öffneten sich, so als würde er mit dem Tod kämpfen. „Michael ...“ Ein pfeifendes Geräusch begleitete seine kaum hörbaren Worte. „Du bist der Gesandte Gottes ... Du bist einer der Erzengel ... Du bist das Zeichen Gottes ... Ich habe ein Geheimnis ...“ Seine Hand fiel dumpf auf den Boden. „Es gibt keinen Gott, Gott ist das Licht ... Denk an den Stern und die fünf Worte und sechs Gebote und Verbote ... Gleichgewicht des Daseins ... sind sein ...“ Er strich langsam mit der Zunge über die aufgeplatzten Lippen. Michael hielt den Atem an, um den sterbenden Mann, der allem Anschein nach in einem dem Delirium ähnlichen Zustand schwebte, besser zu verstehen. „Hier ist das wahre .... wahre ... Zeichen des Allmächtigen, hüte es mit deinem Leben ...“ Er deutete auf seine Brust. Nur mit einem seiner Finger tippte er sich gegen den Brustkorb. Michael dachte zuerst, der sterbende Mann meinte damit sein Herz oder die Seele, doch Vater Georg sprach nach einem weiteren Hustenanfall weiter. „Nimm es mir ab ... ich schaffe es nicht mehr ... aus eigener Kraft, das Leben hier ist nun vorbei, und nun geht …“ Das Pfeifen in seiner Brust wurde lauter. Michael tastete die knochige Brust des Priesters ab, fand auch gleich den Gegenstand, den ihm Vater Georg geben wollte. Es war eine Art Amulett aus Kreisen und Dreiecken, massives Silber, schätzte Michael. Viel Zeit zum Überlegen hatte er nicht. Das Medaillon hing an einem Riemen aus Leder um den dünnen Hals des sterbenden Mann Gottes. Vorsichtig nahm er das Geschenk an sich. Legte behutsam den fast kahlen Kopf auf den verstaubten Boden und ging. Michael half Raphael, seinen Sohn hinauszutragen, man sah Jochen an, dass ihm seine Schwäche unangenehm war. Die beiden Männer und auch Lisa taten so, als wäre es das Normalste auf der Welt.
Lisa drehte sich nochmals z u dem Sterbenden um, Vater Georg lag auf dem Boden, den toten Blick zur Decke gerichtet, ihm lief das Blut aus dem offenen bleichen Mund, zog lange rote Fäden und sammelte sich zu einer grau-schwarzen Pfütze unter dem weiß gewordenen und kurz geschnittenen lichten Haar.
Lisa folgte seinen toten Augen. Oben, auf einem der Balken sah sie etwas, das sie erstarren ließ. Unentschlossenheit lähmte sie. Von Spinnweben benetzt glich die Decke einem einzigen, riesigen, grauen Zauberwesen, aus feinen Haaren geflochten. Nur an einer Stelle wurde das einheitliche graue Geflecht gestört. An dem einen Balken gab es keine Spinnweben, genau an der Stelle befand sich etwas, das die Kommissarin zum Innehalten zwang, es sah wie ein Buch aus. Es zog sie in ihren Bann, es war ein Fremdkörper, ein Tumor, der gar nicht dorthin gehörte. Lisas Beine gehorchten ihr nicht mehr, sie weigerte sich, weiter zu gehen. Das Buch zog sie zu sich. ‚ Ein Buch?‘ Diese Feststellung erschütterte sie bis ins Mark. Sie sah nur den Buchrücken, wie sicher konnte sie sich sein, dass es ein Buch war? Der Greis stotterte immer wieder das eine Wort, bevor er starb, Michael interpretierte es fälschlicherweise als Bombe. Das, was er sagte, war: „B... Bu... obe....“ ‚ Buch oben? Meinte er DAS Buch, oben?'
Ihre Freunde waren viel zu weit vorgelaufen, als dass sie sie zurückrufen konnte. Also entschied sie sich gegen die Vernunft und machte kehrt. Sie suchte den Raum ab, ob nicht eine Art Leiter zu finden wäre, halb enttäuscht sah sie eine Kiste in einer Ecke liegen, und eine ... es war tatsächlich eine Leiche. Der Körper sah aus, als wäre dieser an mehreren Stellen gebrochen. Lisa ging zu der Bierkiste, gegen den Würgereflex ankämpfend, sie schmeckte ihre warme Galle im Mund. Zum Glück, wenn man jetzt von Glück reden konnte, hatte sie heute nichts gegessen. Also schluckte sie angewidert die ätzende Brühe herunter und tastete nach dem Kasten. Ihre Finger zitterten, und die Augen huschten immer wieder zu dem toten Körper, ohne dass Lisa es beabsichtigte. Dann schnappte ihre Hand nach der Kiste, Lisa atmete tief durch. Schnellen Schrittes lief sie zu dem Balken und streckte ihre Arme zu dem versteckten Buch aus, als sie auf der wackeligen Erhöhung unsicher stand, kämpfte sie um das Gleichgewicht und gegen ihre Angst, umzufallen. War das gar ein Heft? ‚ Völlig irrelevant‘ , zähmte sie ihre Gedanken. Als sie merkte, dass ihre Arme zu kurz waren, drehte sie die Kiste auf Hochkant, das instabile Untergestell
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