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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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besser, nicht zu schreiben. Ich habe dir viele Briefe geschrieben, Ludwig. Ich habe immerfort an dich geschrieben – ohne Bleistif und Papier. Du weißt das, nicht wahr?« Sie sah ihn an.
      Kern drückte ihre Hand. »Ich weiß es. Hast du schon ein Zimmer?«
      »Nein. Ich bin gleich von der Bahn hierhergegangen.«
      »Ja, nur …« Kern zögerte einen Moment. »Weißt du, ich bin in den letzten Tagen so eine Art Nachtwandler geworden. Ich wollte nichts riskieren. Da habe ich mehr die staatlichen Pensionen benutzt.« Er bemerkte Ruths Blick. »Nein, nein«, sagte er, »nicht das Gefängnis. Die Zollwachen. Man schläf dort sehr gut. Warm vor allem. Alle Zollwachen sind prima geheizt, wenn es kalt wird. Das ist aber nichts für dich. Du hast eine Aufenthaltserlaubnis – für dich könnten wir großartig ein Zimmer im Grand Hotel Bellevue nehmen. Da wohnen die Vertreter des Völkerbundes. Minister und ähnlich unnützes Volk.«
      »Das werden wir nicht tun. Ich bleibe bei dir. Wenn du glaubst, daß es gefährlich ist, laß uns heute nacht noch weggehen.«
      »Was?« fragte der Postbeamte hinter dem Schalter ungeduldig.
      Sie waren bis zum Fenster vorgerückt, ohne darauf zu achten.
      »Eine Briefmarke für zehn Centimes«, sagte Kern, rasch gefaßt.
      Der Beamte schob die Marke hinüber. Kern zahlte, und sie gingen dem Ausgang zu. »Was willst du denn mit der Marke machen?« fragte Ruth.
      »Ich weiß nicht. Ich habe sie nur so gekauf. Ich reagiere automatisch, wenn ich eine Uniform sehe.« Kern betrachtete die Marke. Die Teufelsfälle am Gotthard waren darauf abgebildet. »Ich könnte einen anonymen Schmähbrief an Ammers schreiben«, erklärte er.
      »Ammers …«, sagte Ruth. »Weißt du, daß er bei Beer in Behandlung ist?«
      »Was? Ist das wahr?« Kern starrte sie an. »Jetzt sag noch wegen Leberbeschwerden, und ich stehe vor Jubel kopf.«
      Ruth lachte. Sie lachte so, daß sie sich bog wie eine Weide im Wind. »Ja – es ist wahr! Deshalb ist er ja bei Beer! Beer ist der einzige Spezialist in Murten. Denk dir, das macht dem Ammers noch Gewissensbeschwerden dazu – daß er zu einem jüdischen Arzt gehen muß!«
      »Großer Gott! Das ist ein stolzer Moment in meinem Leben! Steiner hat mir einmal gesagt, Liebe und Rache gleichzeitig wäre das Seltenste in der Welt. Hier stehe ich, auf den Stufen der Hauptpost in Genf, und habe es! Vielleicht sitzt auch Binding jetzt gerade im Gefängnis oder hat sich ein Bein gebrochen!«
      »Oder man hat ihm sein Geld gestohlen.«
      »Noch besser! Du hast gute Ideen, Ruth!«
      Sie gingen die Stufen hinunter. »Dicker Verkehr ist am besten«, sagte Kern. »Da kann einem kaum was passieren.«
      »Gehen wir heute nacht über die Grenze?« fragte Ruth.
      »Nein. Du mußt dich erst ausruhen und schlafen. Es ist ein langer Weg.«
      »Und du! Mußt du nicht schlafen? Wir können doch eine Pension nehmen, die in Binders Liste steht. Ist es wirklich so gefährlich?«
      »Ich weiß es nicht mehr«, sagte Kern. »Ich glaube nicht. So dicht an der Grenze kann nicht viel passieren. Ich bin schon zu of hin und her gegangen. Sie können uns höchstens zum Zoll bringen, das ist alles. Und wenn es auch etwas gefährlich wäre – ich würde heute nicht allein noch einmal losgehen, glaube ich. Mittags um zwölf Uhr fünfzehn mitten im Verkehr ist man noch stark in seinen Vorsätzen – aber abends, wenn es dunkel wird, ist alles anders. Es wird ohnehin jede Minute unwahrscheinlicher. Du bist wieder da – wie kann man da freiwillig weggehen!«
      »Ich wäre auch nicht allein hiergeblieben«, sagte Ruth.
    Es gelang Kern und Ruth, unbemerkt die Grenze zu
    überschreiten und in Bellegarde die Bahn zu erreichen.
              Sie kamen abends in Paris an und standen vor dem Bahnhof, ohne zu wissen wohin.
      »Mut, Ruth!« sagte Kern. »Wir werden in irgendein kleines Hotel gehen. Heute ist es zu spät, etwas anderes zu versuchen. Morgen sehen wir dann weiter.«
      Ruth nickte. Sie war müde von der Nacht und der Fahrt. Gehen wir in irgendein Hotel.«
      Sie fanden in einer Seitenstraße ein rot aufleuchtendes Glasschild; Hotel Habana. Kern ging hinein und fragte, was ein Zimmer koste. – »Für die ganze Nacht?« fragte der Portier.
      »Ja, natürlich«, erwiderte Kern verwundert.
      »Fünfundzwanzig Francs.«
      »Für zwei Personen?« fragte Kern.
      »Ja, natürlich«, erwiderte der Portier, jetzt seinerseits

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