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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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– er war zu sehr gewohnt, daß nie etwas besser wurde.
      In der dritten Etage klingelte er. Nach einer Weile schlurfe es hinter der Tür, und das Pappschild hinter dem runden Loch des Spions verschob sich. Kern sah ein schwarzes Auge auf sich gerichtet.
    »Wer ist da?« fragte eine mürrische Frauenstimme.
    »Ich möchte jemand sprechen, der hier wohnt«, sagte Kern.
    »Hier wohnt niemand.«
      »Doch! Sie wohnen ja schon hier!« Kern sah auf das Schild an der Tür. »Frau Melanie Ekowski, nicht wahr? Aber Sie möchte ich nicht sprechen.«
      »Na, also.«
      »Ich möchte einen Mann sprechen, der hier wohnt.«
      »Hier wohnt kein Mann.«
      Kern blickte das runde, schwarze Auge an. Vielleicht stimmte es, und sein Vater war längst ausgezogen. Er fühlte sich plötzlich leer und enttäuscht.
      »Wie soll er denn heißen?« fragte die Frau hinter der Tür.
      Kern hob voll neuer Hoffnung den Kopf. »Das möchte ich nicht durchs ganze Haus schreien. Wenn Sie die Tür öffnen, werde ich es Ihnen sagen.«
      Das Auge verschwand vom Guckloch. Eine Kette rasselte. Das ist ja eine Festung, dachte Kern. Er war ziemlich sicher, daß sein Vater doch noch hier wohnte; die Frau hätte sonst nicht weiter gefragt. Die Tür öffnete sich. Eine kräfige Tschechin mit roten Backen und breitem Gesicht betrachtete Kern von oben bis unten.
      »Ich möchte Herrn Kern sprechen.«
      »Kern? Kenne ich nicht. Wohnt nicht hier.«
      »Herrn Siegmund Kern. Ich heiße Ludwig Kern.«
      »So?« Die Frau musterte ihn mißtrauisch. »Das kann jeder sagen.«
      Kern zog seine Aufenthaltserlaubnis aus der Tasche. »Hier -sehen Sie sich dieses Papier bitte an. Der Vorname ist aus Versehen falsch geschrieben; aber Sie sehen das andere.«
      Die Frau las den gesamten Zettel durch. Es dauerte lange. Dann gab sie ihn zurück. »Verwandter?«
      »Ja.« Etwas hielt Kern ab, mehr zu sagen. Er war jetzt fest überzeugt, daß sein Vater hier war.
      Die Frau hatte sich entschieden. »Wohnt nicht hier«, erklärte sie kurz.
      »Gut«, erwiderte Kern. »Dann will ich Ihnen sagen, wo ich wohne. Im Hotel Bristol. Ich bleibe nur ein paar Tage hier. Ich hätte vor meiner Abreise gern mit Herrn Siegmund Kern gesprochen. Ich habe ihm etwas zu übergeben«, fügte er mit einem Blick auf die Frau hinzu.
      »So?«
      »Ja. Hotel Bristol. Ludwig Kern. Guten Abend.«
      Er stieg die Treppen hinunter. Du lieber Himmel, dachte er, das ist ja ein Zerberus, der ihn da bewacht! Immerhin – bewachen ist besser als verraten.
      Er ging zu der Drogerie zurück. Der Besitzer stürzte auf ihn zu. »Haben Sie Ihren Vater gefunden?« Er hatte die ganze Neugier eines Menschen im Gesicht, dem jede Sensation in seinem Leben fehlt.
      »Noch nicht«, sagte Kern, plötzlich widerwillig. »Aber er wohnt dort. Er war nicht zu Hause.«
      »So was! Das ist doch wirklich ein Zufall, nicht wahr?«
      Der Mann legte die Arme auf den Tisch und schickte sich an, breit über sonderbare Zufälle im Leben zu reden.
      »Für uns nicht«, sagte Kern. »Für uns ist es eher ein Zufall, wenn etwas mal normal geht. Was ist mit dem Toilettewasser? Ich kann nur sechs Flaschen nehmen, zunächst. Ich habe nicht mehr Geld. Wieviel Prozent geben Sie mir?«
      Der Besitzer überlegte einen Augenblick. »Fünfunddreißig«, erklärte er dann großzügig. »So was kommt ja nicht alle Tage vor.«
      »Gut.«
      Kern zahlte. Der Drogist packte die Flaschen ein. Die Frau, die Bertha hieß, war inzwischen aus dem Hintergrund herangekommen, um den jungen Mann anzusehen, der seinen Vater wiedergefunden hatte. Sie kaute aufgeregt an etwas Unsichtbarem.
      »Wissen Sie«, sagte der Besitzer, »was ich noch sagen wollte – das Toilettewasser ist sehr gut. Sehr gut, wirklich.«
      »Danke!« Kern nahm das Paket. »Ich komme dann hoffentlich bald, den Rest abzuholen.«

    ER GING ZUM Hotel. In seinem Zimmer machte er das Paket auf und packte zwei Flaschen mit einigen Stücken Seife und ein paar Flakons billigen Parfüms in eine Aktentasche. Er wollte gleich versuchen, noch etwas davon zu verkaufen.
      Als er auf den Korridor trat, sah er, daß jemand das Zimmer nebenan verließ. Es war ein mittelgroßes Mädchen in einem hellen Kleide, das ein paar Bücher unter dem Arm trug. Kern achtete zunächst nicht darauf. Er war damit beschäfigt, die Preise für sein Toilettewasser auszurechnen. Aber plötzlich fiel ihm ein, daß das Mädchen aus dem Zimmer

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