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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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wieder ganz gesund?«
      »Ja, du siehst es ja …«
      »Und was tust du, Vater?«
      »Ich bin irgendwo untergekommen.«
      »Du wirst gut bewacht«, sagte Kern und lächelte.
      Der Alte blickte ihn so gequält und verlegen an, daß er stutzte. »Geht’s dir nicht gut, Vater?« fragte er.
      »Gut, Ludwig, was heißt für uns gut? Ein bißchen Ruhe, das ist schon gut. Ich mache etwas; ich führe Bücher. Es ist nicht viel. Aber es ist eine Beschäfigung. In einer Kohlenhandlung.«
      »Das ist doch großartig. Wieviel verdienst du denn da?«
      »Ich verdiene nichts; nur ein Taschengeld. Ich habe dafür das Essen und die Wohnung.«
      »Das ist auch schon etwas. Morgen komme ich dich besuchen, Vater!«
      »Ja – ja – oder ich kann auch hierher kommen.«
      »Aber wozu sollst du laufen? Ich komme schon …«
      »Ludwig …« Der alte Kern schluckte. »Ich möchte lieber hierher kommen.«
      Kern sah ihn erstaunt an. Und plötzlich verstand er alles. Das kräfige Weib an der Tür. – Sein Herz schlug einen Augenblick wie ein Hammer gegen seine Rippen. Er wollte aufspringen, seinen Vater nehmen, mit ihm fortrennen, er dachte in einem Wirbel an seine Mutter, an Dresden, an die stillen Sonntagvormittage zusammen – dann sah er den vom Schicksal zerschlagenen Mann vor sich, der ihn mit entsetzlicher Demut anblickte, und er dachte: Kaputt! Fertig! Und der Krampf löste sich, und er war nichts mehr als grenzenloses Mitleid.
      »Sie haben mich zweimal ausgewiesen, Ludwig. Wenn ich nur einen Tag wieder da war, haben sie mich gefunden. Sie waren nicht böse. Aber sie können uns ja nicht alle hierbehalten. Ich wurde krank; es regnete immerfort. Lungenentzündung mit einem Rückfall. Und da … sie hat mich gepflegt – ich wäre sonst umgekommen, Ludwig. Und sie meint es nicht schlecht …«
      »Sicher, Vater«, sagte Kern ruhig.
      »Ich arbeite auch etwas. Ich verdiene das, was ich koste. Es ist nicht so … du weißt… so nicht. Aber ich kann nicht mehr auf Bänken schlafen und immer die Angst haben, Ludwig …«
      »Ich verstehe das, Vater.«
      Der Alte sah vor sich hin. »Ich denke manchmal, Mutter sollte sich scheiden lassen. Dann könnte sie doch wieder zurück nach Deutschland.«
      »Möchtest du denn das?«
      »Nein, nicht für mich. Für sie. Ich bin doch schuld an allem. Wenn sie nicht mehr mit mir verheiratet ist, kann sie doch zurück. Ich bin doch schuld. An dir auch. Meinetwegen hast du keine Heimat mehr.«
      Es war Kern schrecklich zumute. Das war nicht mehr sein heiterer, lebensfroher Vater aus Dresden; – das war ein rührender, älterer, hilfloser Mann, der mit ihm verwandt war, und der mit dem Leben nicht mehr fertig werden konnte. Er stand in seiner Verwirrung auf und tat etwas, was er noch nie getan hatte. Er nahm ihn um die schmalen, gebeugten Schultern und küßte ihn.
      »Du verstehst es, Ludwig?« murmelte Siegmund Kern.
      »Ja, Vater. Es ist nichts dabei. Gar nichts dabei.« Er klopfe ihm zart mit der Handfläche auf den knochigen Rücken und starrte über seine Schulter hinweg auf das Bild der Schneeschmelze in Tirol, das über dem Klavier hing.
      »Ich werde dann jetzt gehen …«
      »Ja.«
      »Ich will nur noch die Zitrone bezahlen. Ich habe dir auch eine Schachtel Zigaretten mitgebracht. Du bist groß geworden, Ludwig, groß und kräfig.«
      Ja, und du alt und zittrig, dachte Kern. Hätte ich doch nur einen von denen drüben, die dich soweit gebracht haben, hier, um ihm das satte, zufriedene, dumme Gesicht zu zerschlagen!
      »Du hast dich auch gut gehalten, Vater«, sagte er. »Die Zitrone ist schon bezahlt. Ich verdiene jetzt etwas Geld. Und weißt du, womit? Mit unseren alten eigenen Sachen. Mit deiner Mandelcreme und deinem Farr-Toilettewasser. Ein Drogist hier hat noch einen Stock davon, bei dem kaufe ich es ein.«
      Die Augen Siegmund Kerns belebten sich etwas. Dann lächelte er traurig. »Und nun mußt du damit hausieren. Du mußt mir verzeihen, Ludwig.«
      »Ach wo!« Kern schluckte etwas jäh in seinem Halse Aufsteigendes hinunter. »Es ist die beste Schule der Welt, Vater. Man lernt das Leben von unten kennen. Die Menschen auch. Man kann später nie mehr enttäuscht werden.«
      »Werde nur nicht krank.«
      »Nein, ich bin sehr abgehärtet.«
      Sie gingen hinaus. »Du hast so viel Hoffnung, Ludwig…« Mein Gott, Hoffnung nennt er das, dachte Kern. »Es wird auch alles wieder in Ordnung

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