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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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ein Glas Wasser vor sich
      auf dem Tisch. Er saß allein und unzufrieden da; niemand saß vor ihm, angstvoll, fünfzig Groschen in der Hand. Steiner blickte sich um; anscheinend hatte die Konkurrenz, Rechtsanwalt Silber, die Kundschaf an sich gerissen. Aber Silber war gar nicht da.
      Der Kellner kam heran, ohne gerufen zu werden. Sein Gesicht war verklärt. »Auch wieder einmal da?« fragte er familiär.
      »Erinnern Sie sich an mich?«
      »Und ob! Ich hatte schon Sorgen um Sie. Ist ja alles viel schärfer geworden jetzt. Wieder einen Kognak, mein Herr?«
      »Ja. Wo ist denn der Rechtsanwalt Silber geblieben?«
      »Das ist auch ein Opfer, mein Herr. Verhafet und ausgewiesen.«
      »Aha! War Herr Tschernikoff kürzlich hier?«
      »In dieser Woche nicht!«
      Der Kellner brachte den Kognak und stellte das Tablett auf den Tisch. Im selben Moment öffnete Kern die Augen. Er blinzelte; dann sprang er auf. »Steiner!«
      »Komm«, erwiderte der ruhig. »Trink mal gleich diesen Kognak hier. Nichts erfrischt so, wenn man sitzend geschlafen hat, wie ein Schnaps.«
      Kern trank den Kognak aus. »Ich war schon zweimal hier, dich zu suchen«, sagte er.
      Steiner lächelte. »Die Füße auf dem Koffer. Also ohne Bleibe, was?«
      »Ja.«
    »Du kannst bei mir schlafen.«
      »Wirklich? Das wäre wunderbar. Ich hatte bis jetzt ein Zimmer bei einer jüdischen Familie. Aber heute mußte ich ’raus. Sie haben zuviel Angst, jemand länger als zwei Tage zu behalten.«
      »Bei mir brauchst du keine Angst zu haben. Ich wohne weit draußen. Wir können gleich aufbrechen. Du siehst aus, als brauchtest du Schlaf.«
      »Ja«, sagte Kern. »Ich bin müde. Ich weiß nicht, warum.«
      Steiner winkte dem Kellner. Der kam angaloppiert wie ein altes Schlachtroß, das schon lange Karren gezogen hat, beim Signal zum Sammeln. »Danke«, sagte er erwartungsvoll, schon bevor Steiner gezahlt hatte, »danke herzlichst, mein Herr!«
      Er besah das Trinkgeld. »Küß’ die Hand«, stammelte er überwältigt. »Ergebenster Diener, Herr Graf!«
      »Wir müssen in den Prater«, sagte Steiner draußen.
      »Ich gehe überall hin«, erwiderte Kern. »Ich bin schon wieder ganz munter.«
      »Wir werden die Trambahn nehmen. Besser, wegen deines Koffers. Immer noch Toilettewasser und Seife?«
      Kern nickte.
      »Ich heiße inzwischen anders; kannst mich aber ruhig weiter Steiner nennen. Ich führe den Namen für alle Zufälle als Künstlernamen. Kann dann immer behaupten, er sei ein Pseudonym. Oder der andere sei eines. Je nachdem.«
      »Was bist du denn jetzt?«
      Steiner lachte. »Eine Zeitlang war ich Aushilfskellner. Als der frühere dann aus dem Hospital zurückkam, mußte ich ’raus. Jetzt bin ich Assistent des Vergnügungsetablissements Potzloch. Schießbudenhengst und Hellseher. Was hast du vor, hier?«
      »Nichts.«
      »Vielleicht kann ich dich bei uns unterbringen. Es werden
    gelegentlich immer Leute zur Aushilfe gebraucht. Werde morgen mal dem alten Potzloch auf die Bude rücken. Der Vorteil ist, daß niemand im Prater kontrolliert. Brauchst nicht einmal angemeldet zu werden.«
      »Mein Gott«, sagte Kern, »das wäre großartig. Ich möchte jetzt gern eine Zeitlang in Wien bleiben.«
      »So?« Steiner sah ihn schräg von der Seite an. »Möchtest du?«
      »Ja.«
      Sie stiegen aus und gingen durch den nächtlichen Prater. Vor einem Wohnwagen, etwas abseits von der Rummelplatzstadt, blieb Steiner stehen. Er schloß auf und zündete eine Lampe an.
      »So, Baby, da sind wir. Jetzt werden wir dir zunächst einmal eine Art Bett zaubern.«
      Er holte ein paar Decken und eine alte Matratze aus einem Winkel und breitete sie neben seinem Bett auf dem Boden aus. »Du hast sicher Hunger, was?« fragte er.
      »Ich weiß es schon nicht mehr.«
      »In dem kleinen Kasten ist Brot, Butter und ein Stück Salami. Mach mir auch ein Brot zurecht.«
      Es klopfe leise an die Tür. Kern legte das Messer weg und lauschte. Seine Augen suchten das Fenster. Steiner lachte. »Die alte Angst, Kleiner, was? Werden wir sicher nie wieder los. Komm herein, Lilo!« rief er.
      Eine schlanke Frau trat ein und blieb an der Tür stehen. »Ich habe Besuch«, sagte Steiner. »Ludwig Kern. Jung, aber schon erfahren in der Fremde. Er bleibt hier. Kannst du uns etwas Kaffee machen, Lilo?«
      »Ja.«
      Die Frau nahm einen Spirituskocher, zündete ihn an, stellte einen kleinen Kessel mit

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