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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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Wasser darauf und begann, Kaffee zu mahlen. Sie machte das alles fast geräuschlos, mit langsamen, gleitenden Bewegungen.
      »Ich dachte, du schliefest längst, Lilo«, sagte Steiner.
      »Ich kann nicht schlafen.«
      Die Frau hatte eine tiefe, heisere Stimme. Ihr Gesicht war schmal und regelmäßig. Das schwarze Haar hatte sie in der Mitte gescheitelt. Sie sah aus wie eine Italienerin, aber sie sprach das harte Deutsch der Slawen.
      Kern saß auf einem zerbrochenen Rohrstuhl. Er war sehr müde, nicht nur im Kopf – eine schläfrige Entspannung, wie seit langem nicht, war über ihn gekommen. Er fühlte sich geborgen.
      »Ein Kissen«, sagte Steiner. »Das einzige, was fehlt, ist ein Kissen.«
      »Das macht nichts«, erwiderte Kern. »Ich lege meine Jacke zusammen oder etwas Unterzeug aus meinem Koffer.«
      »Ich habe ein Kissen«, sagte die Frau.
      Sie brühte den Kaffee auf, dann erhob sie sich und ging mit ihren schattenhafen, lautlosen Bewegungen hinaus.
      »Komm, iß!« sagte Steiner und goß Kaffee in zwei henkellose Tassen mit blauem Zwiebelmuster.
      Sie aßen das Brot und die Wurst … Die Frau kam wieder herein und brachte ein Kissen mit. Sie legte es auf das Lager Kerns und setzte sich an den Tisch.
      »Willst du keinen Kaffee, Lilo?« fragte Steiner.
      Sie schüttelte den Kopf. Sie sah still den beiden zu, während sie aßen und tranken. Dann stand Steiner auf. »Zeit zum Schlafen. Bist doch müde, Kleiner, was?«
      »Ja. Jetzt allmählich wieder.«
      Steiner strich der Frau über das Haar. »Geh auch schlafen, Lilo …«
      »Ja.« Sie stand gehorsam auf. »Gute Nacht …« Kern und Steiner legten sich zu Bett. Steiner löschte die Lampe aus. »Weißt du«, sagte er nach einer Weile aus dem warmen Dunkel hervor, »man soll so leben, als ob man nie mehr zurückkäme nach drüben.«
      »Ja«, erwiderte Kern. »Für mich ist das nicht schwer.«
      Steiner zündete sich eine Zigarette an. Er rauchte langsam. Der rötliche Lichtpunkt glomm jedesmal heller auf, wenn er den Rauch einatmete. »Willst du auch eine haben?« fragte er. »Sie schmecken ganz anders im Dunkeln.«
      »Ja.« Kern fühlte Steiners Hand, die ihm das Paket und die Streichhölzer hinüberreichte.
      »Wie war es in Prag?« fragte Steiner.
      »Gut.« Kern wartete und rauchte. Dann sagte er: »Ich habe jemand da getroffen.«
      »Bist du deshalb jetzt nach Wien gekommen?«
      »Nicht nur deshalb. Aber sie ist auch in Wien.«
      Steiner lächelte im Dunkeln. »Bedenke, daß du ein Wanderer bist, Baby. Wanderer sollen Abenteuer haben; aber nichts, was ihnen ein Stück Herz wegreißt, wenn sie fort müssen.«
      Kern schwieg.
      »Das sagt nichts gegen die Abenteuer«, fügte Steiner hinzu. »Auch nichts gegen das Herz. Am allerwenigsten aber gegen die, die uns ein bißchen Wärme unterwegs geben. Nur etwas gegen uns, vielleicht. Weil man nimmt – und wenig zurückgeben kann.«
      »Ich glaube, ich kann gar nichts zurückgeben.« Kern fühlte sich plötzlich sehr mutlos. Was wußte er schon? Und was konnte er Ruth schon geben? Nur sein Gefühl. Und das schien ihm nichts zu sein. Er war jung und unwissend, das war alles.
      »Gar nichts ist viel mehr als ein wenig, Baby«, sagte Steiner ruhig. »Es ist schon beinahe alles.«
    »Es kommt darauf an, von wem …«
      Steiner lächelte. »Hab keine Angst, Baby. Alles ist richtig, was man fühlt. Wirf dich hinein. Aber bleib nicht hängen.« Er drückte seine Zigarette aus. »Schlaf gut. Morgen gehen wir zu Potzloch…«
      »Danke. Ich werde sicher gut schlafen hier …«
      Kern legte seine Zigarette beiseite und wühlte den Kopf in das Kissen der fremden Frau. Er war immer noch mutlos; aber auch fast glücklich.

    Direktor Potzloch war ein behendes kleines Männchen
    mit einem zausigen Schnurrbart, einer riesigen Nase und
          einem Kneifer, der ewig rutschte. Er war immer in großer Eile; am meisten, wenn nichts zu tun war.
      »Was ist los? Schnell!« fragte er, als Steiner mit Kern zu ihm kam.
      »Wir brauchen doch eine Hilfe«, sagte Steiner. »Tagsüber zum Aufräumen, abends für die telepathischen Experimente. Hier ist sie.« Er wies auf Kern.
      »Kann er irgend etwas?«
      »Er kann das, was wir brauchen.«
      Potzloch blinzelte. »Einer von Ihren Bekannten? Was verlangt er?«
      »Essen, Wohnen und dreißig Schilling. Vorläufig.«
      »Ein Vermögen!« schrie Direktor Potzloch. »Die Gage

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