Liebe deinen nächsten
Vergnügen – als trieben sie irgendeinen Sport und schleifen nicht einen Menschen blutig.
Plötzlich kam Hilfe. Ein großer, blonder Student, der bisher herumgestanden hatte, verzog angewidert das Gesicht, als der Kleine an ihm vorbeigeschleppt wurde. Er streife die Ärmel seiner Jacke etwas hoch, machte ein paar langsame Schritte und schlug dann mit zwei kurzen, wuchtigen Schlägen die Peiniger des Kleinen nieder.
Er hob den verschmierten Kleinen am Kragen hoch und stellte ihn auf die Beine. »So, nun mach, daß du wegkommst«, knurrte er. »Aber schnell!«
Darauf ging er, ebenso langsam und nachdenklich wie vorher, auf den tobenden Haufen zu. Er besah sich den schwarzhaarigen Anführer und gab ihm dann einen so furchtbaren Hieb auf die Nase und sofort hinterher einen fast unsichtbaren Schlag gegen das Kinn, daß er krachend aufs Pflaster stürzte.
In diesem Augenblick erblickte Kern Ruth. Sie hatte ihre Mütze verloren und befand sich am Rande des Getümmels. Er lief auf sie zu. »Rasch! Komm rasch, Ruth! Wir müssen hier weg!«
Sie erkannte ihn im ersten Augenblick nicht. »Die Polizei!« stammelte sie, blaß vor Erregung, »die Polizei muß helfen!«
»Die Polizei hilf nicht! Sie darf uns hier auch nicht erwischen! Wir müssen fort, Ruth!«
»Ja.« Sie sah ihn wie erwachend an. Ihr Gesicht veränderte sich. Es schien, als wollte sie weinen. »Ja, Ludwig«, sagte sie mit einer sonderbar zerbrochenen Stimme. »Komm, fort!«
»Ja, rasch!« Kern nahm ihren Arm und zog sie mit sich. Hinter sich hörten sie Geschrei. Es gelang der Gruppe jüdischer Studenten durchzubrechen. Ein Teil von ihnen lief über den Platz. Das Gedränge verschob sich, und plötzlich waren Kern und Ruth mittendrin.
»Ah, Rebekka! Sarah!« Einer der Angreifer griff nach Ruth.
Kern spürte etwas wie das Abschnellen einer Feder. Er war aufs höchste überrascht, den Studenten langsam zusammensinken zu sehen. Er war sich nicht bewußt, geschlagen zu haben.
»Hübscher Gerader!« sagte jemand anerkennend neben ihm.
Es war der große blonde Student, der soeben zwei andere mit den Köpfen zusammenschlug. »Nichts Edles verletzt!« sagte er, ließ sie fallen wie nasse Säcke und griff nach zwei andern.
Kern bekam einen Schlag mit einem Spazierstock über den Arm. Er sprang wütend los, in einen roten Nebel hinein und schlug um sich. Er zerschmetterte eine Brille und rannte jemand um. Dann dröhnte es furchtbar, und der rote Nebel wurde schwarz.
ER ERWACHTE AUF der Polizeistation. Sein Kragen war zerrissen, seine Backe blutete, und sein Kopf dröhnte immer noch. Er setzte sich auf.
»Servus!« sagte jemand neben ihm. Es war der große blonde Student.
»Verdammt!« erwiderte Kern. »Wo sind wir?«
Der andere lachte. »In Haf, mein Lieber. Ein, zwei Tage, dann lassen sie uns schon wieder ’raus.«
»Mich nicht.« Kern sah sich um. Sie waren zu acht. Außer dem Blonden alles Juden. Ruth war nicht dabei.
Der Student lachte wieder. »Was sehen Sie sich so um? Sie meinen, die Falschen wären hier? Irrtum, mein Lieber! Nicht der Angreifer, der Angegriffene ist schuldig! Er ist die Ursache des Ärgernisses. Modernste Psychologie.«
»Haben Sie gesehen, was aus dem Mädchen geworden ist, mit dem ich zusammen war?« fragte Kern.
»Das Mädchen?« Der Blonde dachte nach. »Es wird ihr nichts passiert sein. Was soll ihr schon geschehen? Mädchen läßt man doch in Ruhe bei einer Prügelei.«
»Sind Sie dessen sicher?«
»Ja. Ziemlich. Außerdem kam ja doch gleich die Polizei.«
Kern starrte vor sich hin. Die Polizei. Das war es ja. Aber Ruths Paß war noch gültig. Man konnte ihr nicht allzuviel tun. Doch auch das war schon zuviel.
»Sind außer uns noch mehr verhafet worden?« fragte er.
Der Blonde schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Ich war der letzte. An mich gingen sie nur zögernd ’ran.«
»Bestimmt nicht?«
»Nein. Dann wären sie auch hier. Wir sind ja vorläufig noch auf der Wachstube.«
Kern atmete auf. Vielleicht war Ruth nichts passiert.
Der blonde Student betrachtete ihn ironisch. »Katzenjammer, was? Geht einem immer so, wenn man unschuldig ist. Besser, man hat einen Grund für das, was einem passiert. Sehen Sie, der einzige, der nach gutem, altem Recht hier sitzt, bin ich. Ich habe mich freiwillig eingemischt. Deshalb bin ich auch fröhlich.«
»Es war anständig von Ihnen.«
»Ach,
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