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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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nehmen müssen; aber zwei sind immer besser.«
      »Gut«, sagte Kern. »Du hast sicher recht. Ich muß mich wohl erst etwas zurechtfinden, bevor ich losgehe. Ich habe irgendwie einen entsetzlichen Hunger. Nicht nur im Magen – in den Augen, im Kopf, überall. Besser, ich werde erst einmal ein bißchen klarer.«
      Steiner lachte. »Richtig! Da kommt Lilo mit heißen Piroggen. Iß gründlich, Baby. Ich gehe inzwischen Potzloch aufwecken.«
      Lilo stellte die Platte vor Kern hin. Er begann aufs neue zu essen. Zwischendurch tastete er nach seinen Briefen.
      »Bleiben Sie hier?« fragte Lilo in ihrem langsamem, etwas harten Deutsch.
      Kern nickte.
      »Keine Angst«, sagte Lilo. »Sie müssen keine Angst haben um Ruth. Sie kommt durch. Ich kenne Gesichter.« – Kern wollte ihr sagen, daß er deswegen keine Angst habe. Daß er nur Sorge habe, sie könne in Zürich gefaßt werden, bevor er ankäme … Doch ein Blick in das dunkle, von einer ungeheuren Trauer überschattete Gesicht der Russin ließ ihn verstummen. Alles war klein und belanglos dagegen. Aber sie schien trotzdem etwas gespürt zu haben. »Nicht schlimm«, sagte sie. »Solange anderer lebt, nie schlimm.«

    ES WAR ZWEI Tage später, nachmittags. Ein paar Leute schlenderten auf die Schießbude zu. Lilo war mit einer Gruppe junger Burschen beschäfigt, und die Leute kamen zu Kern. »Los! Schießen wir einmal!«
      Kern gab dem ersten eine Büchse. Die Leute schössen zunächst ein paarmal auf Figuren, die herunterrasselten, und auf dünne Glaskugeln, die im Strahl eines kleinen Springbrunnens tanzten. Dann begannen sie die Prämientafel zu studieren und forderten Scheiben, um sich Gewinne zu erschießen.
      Die ersten beiden schössen vierunddreißig und vierundvierzig Punkte. Sie gewannen einen Plüschbären und ein versilbertes Zigarettenetui. Der dritte, ein untersetzter Mann mit hochstehenden Haaren und einer dichten, braunen Schnurrbartbürste, zielte lange und sorgfältig und kam auf 48 Ringe. Seine Freunde brüllten Beifall. Lilo warf einen kurzen Blick herüber. »Noch mal fünf Schuß!« forderte der Mann und schob den Hut zurück. »Mit demselben Gewehr.«
      Kern lud. Der Mann machte mit drei Schuß 36 Ringe. Jedesmal eine Zwölf. Kern sah den silbernen Obstkorb mit den Bestecken, das Erb- und Familienstück, das ungewinnbar war, in Gefahr. Er nahm eine von Direktor Potzlochs Glückskugeln. Der nächste Schuß war eine Sechs.
      »Holla!« Der Mann setzte das Gewehr ab. »Da stimmt was nicht. Ich bin tadellos abgekommen.«
      »Vielleicht haben Sie doch etwas gezuckt«, sagte Kern. »Es ist ja dasselbe Gewehr.«
      »Ich zucke nicht«, erwiderte der Mann gereizt. »Ein alter Polizeifeldwebel zuckt nicht. Ich weiß, wie ich schieße.«
      Diesmal zuckte Kern. Ein Polizist, auch in Zivil, ging ihm auf die Nerven. Der Mann starrte ihn an. »Da stimmt was nicht, Sie!« sagte er drohend.
      Kern erwiderte nichts. Er reichte ihm das geladene Gewehr wieder hin. Diesmal hatte er eine normale Kugel hineingegeben. Der Feldwebel sah ihn noch einmal an, ehe er zu zielen begann. Er schoß eine Zwölf und setzte das Gewehr ab. »Na?«
      »Kommt vor«, sagte Kern.
      »Kommt vor? Kommt nicht vor! Vier Zwölfer und einen Sechser! Das glauben Sie doch wohl selber nicht, was?«
      Kern schwieg. Der Mann näherte ihm sein rotes Gesicht. »Ich kenne Sie doch irgendwoher …«
      Seine Freunde unterbrachen ihn. Lärmend verlangten sie einen Freischuß. Der Sechser sei ungültig. »Ihr habt was mit den Kugeln, ihr Brüder!« schrien sie.
      Lilo kam heran. »Was ist los?« fragte sie. »Kann ich Ihnen helfen? Der junge Mann ist noch neu hier.«
      Die anderen redeten auf sie ein. Der Polizist sprach nicht mit. Er blickte Kern an und in seinem Kopf arbeitete es. Kern hielt den Blick aus. Er erinnerte sich an alle Lehren, die ihm sein unruhiges Leben gegeben hatte. »Ich will mit dem Direktor sprechen«, sagte er nachlässig. »Ich kann hier nichts entscheiden.« Er dachte daran, dem Polizisten einen Schuß frei zu geben. Aber er sah Potzloch bereits tosen, wenn das Erbstück der Familie seiner Frau zum Teufel ging. Er stand zwischen Skylla und Charybdis. Langsam holte er eine Zigarette hervor und zündete sie an. Er zwang sich eisern, daß seine Hände nicht zitterten. Dann drehte er sich um und schlenderte zu Lilos Platz hinüber.
      Lilo blieb an seiner Stelle stehen. Sie schlug einen Vergleich vor. Der Polizist solle noch

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