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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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einmal fünf Schüsse machen. Umsonst natürlich. Die anderen wollten nicht. Lilo blickte zu Kern hinüber. Sie sah, daß er blaß war, und sie merkte, daß mehr los war als nur ein Streit um Potzlochs Zauberkugeln. Sie lächelte plötzlich und setzte sich auf den Tisch, dem Polizisten gegenüber.
      »So ein fescher Mann wird auch zum zweitenmal gut schießen«, sagte sie. »Kommen Sie, probieren Sie es! Fünf Freischüsse für den Schützenkönig!«
      Der Polizist reckte geschmeichelt den Kopf aus dem Kragen. »Wer so eine Hand hat, der hat keine Angst«, sagte Lilo und legte ihre schmale Hand auf die kräfige, rötlich behaarte des Feldwebels.
      »Angst! Kennen wir nicht!« Der Polizist warf sich in die Brust und lachte hölzern. »Wäre ja noch schöner!«
      »Das habe ich mir gedacht!« Lilo sah ihn bewundernd an und reichte ihm das Gewehr.
      Der Polizist nahm es, zielte sorgfältig und schoß. Eine Zwölf. Befriedigt blickte er Lilo an. Sie lächelte und lud das Gewehr wieder. Der Polizist schoß 58 Ringe.
      Lilo strahlte ihn an. »Sie sind der beste Schütze seit Jahren hier«, erklärte sie. »Ihre Frau braucht wahrhafig keine Angst zu haben.«
      »Hab’ noch keine Frau.«
      Sie sah ihm in die Augen. »Wohl nur, weil Sie nicht wollen.«
      Er schmunzelte. Seine Freunde lärmten. Lilo ging, ihm den Picknickkorb holen, den er gewonnen hatte. Er strich sich den Schnurrbart und sagte mit kleinen, kalten Augen plötzlich zu Kern: »Ich krieg’s schon ’raus mit Ihnen! Ich komme einmal in Uniform wieder!«
      Dann nahm er grinsend seinen Korb und zog mit seinen Freunden weiter.
      »Hat er Sie erkannt?« fragte Lilo rasch.
      »Ich weiß nicht. Ich glaube nicht. Ich habe ihn nie gesehen. Aber vielleicht er mich irgendwann.«
      »Gehen Sie vorläufig wieder weg. Besser, er sieht Sie nicht mehr. Sagen Sie es Steiner.«

    DER POLIZIST KAM am selben Tag nicht wieder. Aber Kern beschloß, noch abends abzufahren.
      »Ich muß weg«, sagte er zu Steiner. »Ich habe das Gefühl, daß sonst etwas passiert. Ich war jetzt zwei Tage hier. Ich bin wieder in Ordnung, glaube ich, meinst du nicht auch?«
      Steiner nickte. »Fahr ab, Baby. Ich will in ein paar Wochen auch weiter. Mein Paß ist überall besser als hier. In Österreich wird es gefährlich. Ich habe so allerhand gehört in den letzten Tagen. Komm, wir gehen zu Potzloch.«
      Direktor Potzloch war wütend wegen des Picknickkorbes. »Ein Wert von dreißig Schilling, junger Mann, netto, Einkauf en gros«, trompetete er. »Sie ruinieren mich!«
      »Er geht ja«, sagte Steiner und erklärte ihm die Sachlage. »Es war reine Notwehr«, schloß er. »Ihr Familienerbstück wäre verloren gewesen.«
      Potzloch erschrak nachträglich und verklärte sich dann. »Also gut, das ist was anderes.« Er zahlte Kern seine Gage aus und führte ihn darauf vor die Schießbude. »Junger Mann«, sagte er, »Sie sollen Leopold Potzloch kennenlernen, den letzten Menschenfreund! Suchen Sie sich hier von den Sachen was aus! Als Andenken. Zum Verkaufen natürlich. Ein ordentlicher Mensch behält keine Andenken. Verbittern nur das Leben. Sie werden doch etwas handeln, wie? Suchen Sie aus! A discrétion …«
      Er verschwand in der Richtung des Panoramas der Sensationen. »Tue es ruhig«, sagte Steiner. »Schund geht immer. Nimm kleine, leichte Sachen. Tue es rasch, ehe Potzloch es bereut.«
      Aber Potzloch bereute nicht. Im Gegenteil: er gab auf die Aschbecher, Kämme und Würfel, die Kern sich ausgesucht hatte, freiwillig noch drei kleine nackte Göttinnen aus echtem Bronzeersatz hinzu. »Wird Ihr größter Erfolg sein in kleineren Städten«, erläuterte er und griff hohnlachend nach seinem Zwicker. »Der Mensch der Kleinstadt kennt die dumpfe Brunst. Kleinstadt ohne Bordell natürlich! Und nun Gott befohlen, Kern! Ich muß zu einer Konferenz gegen die hohe Lustbarkeitssteuer. Lustbarkeitssteuer! Typisch für dies Jahrhundert! Anstatt eine Prämie dafür auszusetzen!«
      Kern packte seine Koffer. Er wusch seine Strümpfe und seine Hemden und hängte sie zum Trocknen auf. Dann aß er mit Lilo und Steiner zu Abend.
      »Sei traurig, Kleiner«, sagte Steiner. »Es ist dein Recht. Die alten griechischen Helden weinten mehr als eine sentimentale Närrin unserer Tage. Sie wußten, daß man es nicht herunterfressen soll. Wir haben als Ideal die unbeugsame Courage einer Statue. Gar nicht nötig. Sei traurig, dann bist du es bald

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