Liebe, fertig, los!: Roman (German Edition)
schaute auf die Digitaluhr auf dem Armaturenbrett. Sie war zur Pünktlichkeit erzogen worden und kam normalerweise auf die Minute genau an, doch heute war sie etwa eine halbe Stunde zu früh. Irgendwo zwischen Tacoma und Gearhead hatte sie einen Bleifuß bekommen. Irgendwann zwischen »Bruder Jakob« und »Sind wir schon da?« hatte sie den Hyundai auf über hundertdreißig Sachen beschleunigt. Das Risiko, von einem Polizisten angehalten und verwarnt zu werden, hatte ihr keine Sorgen bereitet. Das Gespräch mit einem Erwachsenen wäre für sie sogar eine willkommene Abwechslung gewesen.
Sie schaute auf die Skizze, die John ihr gezeichnet hatte, und fuhr an ein paar verwitterten Häusern zwischen zwei Seebädern vorbei. Sie nahm den Fuß vom Gas und las seine kraftvolle, krakelige Handschrift. Dann bog sie in eine schattige Straße, fuhr geradeaus, wie angegeben, und fand das Haus problemlos. Sie stellte ihren Hyundai neben Johns dunkelgrünem Range Rover ab, der in der Auffahrt eines weißen einstöckigen Hauses mit einem steilen Dach aus hölzernen Schindeln parkte. Knorrige Kiefern und Akazien beschatteten die hellgrau gebeizte Holzveranda. Sie ließ das Gepäck im Wagen, nahm Lexie bei der Hand und lief mit ihr zur Haustür. Mit jedem Schritt schlug Georgeannes Herz etwas schneller. Mit jedem Schritt wuchs ihre Sorge, dass sie einen Riesenfehler machte.
Sie klingelte und klopfte mehrfach. Niemand öffnete. Sie schaute auf die Karte und studierte sie noch einmal sorgfältig.
Wenn sie sie selbst gemalt hätte, wäre die vertraute Furcht in ihr aufgestiegen, mal wieder die Ziffern vertauscht zu haben.
»Vielleicht macht er ein Nickerchen«, spekulierte Lexie. »Vielleicht sollten wir reingehen und ihn aufwecken.«
»Ja, vielleicht.« Georgeanne kontrollierte noch einmal die Hausnummer. Dann ging sie zum Briefkasten, der am Haus festgenagelt war, und klappte den Deckel auf. Sie spähte hinein und hoffte, dass ihr dabei weder ein Postangestellter noch ein Nachbar mit Gewehr im Anschlag zusah. Sie zog eine Rückantwortkarte heraus, die an John adressiert war.
»Glaubst du, er hat es vergessen?«, fragte Lexie.
»Ich hoffe nicht«, antwortete Georgeanne, während sie am Knauf drehte und die Tür öffnete. Und wenn er es wirklich vergessen hatte? Wenn er irgendwo im Haus schlief? Oder gerade duschte – mit einer Frau? Sie wusste, dass sie etwas zu früh dran war; wenn er im Bett lag, eng umschlungen mit irgendeiner vertrauensseligen Tussi?
»John?«, rief sie und trat in den Eingangsbereich. Ihre Füße versanken in einem eleganten champagnerfarbenen Teppich, und mit Lexie dicht auf den Fersen lief Georgeanne ins Wohnzimmer. Ihr fiel sofort auf, dass das Haus gar nicht einstöckig war, wie es von vorn aussah. Links von ihr führte eine Treppe nach unten, während rechts eine zweite nach oben zu einem offenen Loft über dem Esszimmer verlief. Das Haus war in den Hang gebaut und hatte einen Blick auf den Strand und das Meer, und die gesamte hintere Wand bestand aus massiven Fenstern mit Rahmen aus gebleichter Eiche. Drei entsprechende Dachfenster dominierten die Decke über dem Wohnzimmer.
»Wow«, stieß Lexie hervor und drehte sich einmal um die eigene Achse. »Ist John reich?«
»Sieht ganz so aus, nicht?« Die Einrichtung war modern und hauptsächlich aus gebleichtem Holz und Eisen. Eine dick gepolsterte Couchgarnitur mit einem tiefblauen Bezug war so ausgerichtet, dass man aufs Meer oder auf den Kamin an der linken Wand schaute. Über dem Kamin hing ein großes Foto, auf dem Johns Großvater vor der Küste von Florida auf einem Boot mit einem selbst gefangenen riesigen Blaubarsch posierte. Es war lange her, seit Georgeanne Ernie gesehen hatte, aber sie erkannte ihn sofort.
»Ich frage mich, ob John irgendwo hingefallen ist.« Lexie lief auf eine von drei Glasschiebetüren an den Außenseiten des Wohn- und Esszimmerbereichs zu. »Vielleicht hat er sich das Bein gebrochen oder sich geschnitten.«
Gemeinsam traten die beiden an die Türen und schauten auf die Rundumveranda, die zum Strand führte. Jenseits der Veranda ragte Haystack Rock in den klaren blauen Himmel. Möwen kreisten über der grünen Vegetation, die sich an die obere Hälfte des riesigen Felsens klammerte, und ihr ständiges Kreischen vermischte sich mit dem Krachen der Wellen.
»John!«, rief Lexie lauthals. »Wo bist du?«
Georgeanne öffnete die Schiebetür und ließ die von den Gerüchen aus Salzwasser und Seetang geschwängerte Brise
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