Liebe Hoch 5
kurzen Satz auf seinem Blatt stehen. Die anderen Paare kritzelten jedoch immer noch vor sich hin, als gäbe es kein Morgen. Sprachen die niemals miteinander? Oder schrieben sie sich Abschiedsbriefe?
Im Auto atmete ich erleichtert auf. »So, das ist auch erledigt.« Ich kramte in meiner Handtasche mein Notizbuch mit der To-do-Liste hervor. Die meisten Punkte waren durchgestrichen. Auch viele von denen, die erst nach der Geburt anfielen. Ich hatte sogar schon einen PEKIP-Kurs gebucht und das Kleine zum Babyschwimmen angemeldet.
Ich liebte Listen. Sie gaben mir das Gefühl, vor den Widrigkeiten des Lebens gefeit zu sein. Und sie sorgten dafür, dass ich mich diszipliniert, durchsetzungsfähig und erfolgreich fühlte. Ich würde auf jeden Fall keine der kopflosen Schwangeren sein, die Hals über Kopf in die Klinik fuhren, um dort festzustellen, dass sie ihren Mutterpass oder ein paar dicke Socken vergessen hatten. Meine Krankenhaustasche stand seit der 30. Schwangerschaftswoche gepackt neben meinem Bett. Nils und ich waren den Weg zur Klinik abgefahren und hatten sogar einige Alternativstrecken ausprobiert. Ich kontrollierte penibel, dass das Auto immer zu Dreiviertel vollgetankt war und ich hatte den möglichen Ablauf der Geburt in der Badewanne geprobt. Ja, ich fühlte mich gut vorbereitet. Meine Ängste und Sorgen waren also vollkommen unnötig.
»Darf ich deinen Brief lesen?«, fragte ich Nils. Mit dieser Aussicht hatte ich mich die letzte halbe Stunde des Kurses am Leben gehalten.
Doch er schüttelte den Kopf.
»Nein? Aber dafür war er doch gedacht.«
»Der Brief wird dein Weihnachtsgeschenk werden.« Nils grinste.
»Mein Weihnachtsgeschenk?«, wiederholte ich. »Wir haben doch ausgemacht, dass wir uns nichts schenken. Außerdem hast du nur einen einzigen Satz geschrieben.«
»Es ist nichts Materielles, sondern etwas Ideelles«, sagte Nils. »Und was den einen Satz angeht: Damit ist alles gesagt.« Er sah sehr zufrieden aus.
»Du hast es geschafft, in einem einzigen Satz alle Wünsche und Ängste auszudrücken, die dich bewegen? Viel kann das ja nicht sein … Dann darfst du meinen Brief auch nicht lesen«, entgegnete ich beleidigt. »Wird auch dein Weihnachtsgeschenk. Ich bin aber viel großzügiger als du. Auf meinem Blatt stehen nämlich sieben Sätze.«
Enttäuscht starrte ich nach vorn und beschloss, die restliche Fahrt nicht mehr mit ihm zu sprechen.
Doch Nils nahm lachend meine Hand. »Jetzt sei nicht böse auf mich. Du darfst ihn ja lesen. Aber erst am Heiligen Abend. Außerdem habe ich noch eine Überraschung für dich.«
»Welche?«, fragte ich misstrauisch. Seine letzte Überraschung war ein 3-D-Fernseher gewesen, inklusive Brillen, die wir nun jeden Abend beim Fernsehen aufsetzen mussten.
»Wir treffen uns morgen mit meinen Eltern.«
Mein Kopf ging ruckartig nach oben. »Die sind in Afrika.« Nils’ Eltern hatten sich nämlich eine Auszeit genommen und waren auf Weltreise gegangen. Praktischerweise direkt, nachdem wir ein Paar geworden waren. War dieses Jahr etwa schon vorbei?
»Sie sind früher zurückgekommen. Wir gehen morgen mit ihnen zum Abendessen.«
Ich starrte ihn entsetzt an.
»Keine Angst, du weißt, dass mein Verhältnis zu ihnen auch nicht das Beste ist. Aber sie beißen nicht. Sie möchten nur die Frau kennenlernen, der es gelungen ist, mich einzufangen.«
»Waren das ihre Worte?«, fragte ich schwach.
Doch Nils ging nicht darauf ein. »Du wirst sehen: Alles wird total entspannt. Außerdem bist du nicht allein. Deine Eltern sind auch eingeladen.«
Nein! »Wissen sie schon von ihrem Glück?«
»Natürlich. Bevor wir zum Geburtsvorbereitungskurs gefahren sind, habe ich sie angerufen.«
»Übermorgen ist Weihnachten. Meine Mutter hat ein achtgängiges Menü geplant. Da ist ihr so ein Essen doch bestimmt viel zu stressig.«
»Ganz im Gegenteil. Sie war begeistert.«
Das war zu befürchten gewesen. »War es denn wirklich nötig, aus dem ersten Treffen mit deinen Eltern eine komplette Familienzusammenführung zu machen? Es fehlt nur noch, dass meine Schwestern und Opa Willy auch noch mit von der Partie sind.«
»Die habe ich beim nächsten Mal fest eingeplant.« Nils schmunzelte. »Und was deine Eltern angeht: Meine Mutter meinte, so ein Essen sei eine gute Gelegenheit, um gleich zu sehen, aus welchem Stall du kommst.«
»Das hat sie so aber nicht gesagt, oder?«, fragte ich empört. Männer! Wenn er mich mit dieser Aussage beruhigen wollte, war der Schuss
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