Liebe Hoch 5
dieser letzte Satz von mir im Orkus, und ich betete, dass Cornelius ihn nicht so deuten würde, wie ich ihn gedacht hatte. Jedenfalls blieb er mir eine Antwort schuldig. Etwa sieben Minuten lang. Sieben Minuten, in denen ich Nägel kauend auf meinem Stuhl hin- und herrutschte und mir mein Herz bis zu den Ohren pochte. Dann kam der erlösende Piepton:
Ich komme seit drei Monaten in diese Bücherei, weil ich überzeugt davon bin, Sie zum Lächeln bringen zu können.
Mir blieb fast das Herz stehen. Drei Monate? Drei Monate, in denen ich ihn nicht einmal bemerkt hatte, weil ich zu sehr damit beschäftigt war, griesgrämig zu sein?
Dann kann ich Ihnen gratulieren. Sie haben Ihr Ziel erreicht.
Lächeln Sie etwa?
Ja.
Jetzt immer noch?
Ich lachte laut auf, als ich meine Antwort tippte: Immer noch.
Diesmal musste ich nicht sieben Minuten warten. Diesmal kam die Antwort nach wenigen Sekunden:
Wir treffen uns am Freitag auf dem Weihnachtsmarkt. 18.00 Uhr.
Welches Wesen auch immer in diesem Moment meinen Geist übernommen hatte, es zeigte jedenfalls kein Zeichen von Widerspenstigkeit, denn ich schickte ihm auch einen Smiley.
Am Freitagnachmittag brachte ich den Kugelschreiber in den Laden zurück. Die Verkäuferin trug diesmal eine Brille mit kobaltblauem Gestell.
»Den habe ich aus Versehen eingesteckt«, erklärte ich ihr.
»Das macht doch nichts. Hast du ihn benutzt?« Sie sah mich erwartungsvoll an.
»Ein paar Mal«, gestand ich.
Sie presste die Lippen zusammen, als hätte die Antwort sie enttäuscht. »Wenn du willst, kannst du ihn noch einige Tage behalten.«
Ich fand die Frage doch ein wenig merkwürdig. Schließlich ging es hier um einen Kuli und nicht um ein Buch oder den neuesten Blockbuster auf DVD.
»Ich benötige ihn nicht mehr.«
»Brauchst du denn sonst noch etwas? Ein paar neue Notizblöcke zum Beispiel? Wir haben welche mit Christbaumkugeln und Glöckchen drauf.«
Ich überlegte nur kurz, dann lächelte ich. »Nein, danke.«
Wieder zurück in meiner Wohnung fiel mir auf, wie kahl sie im Gegensatz zu diesem Geschäft aussah. Keine Weihnachtsdeko und nicht einmal eine Kerze. Mein Blick schweifte zum Fenster, wo der Schnee gegen die Scheibe geweht wurde und zu dicken Tropfen schmolz. Cornelius besaß sicher eine Menge Weihnachtsdeko. Ich stellte mir vor, wie er gerade einen Engelschor auf der Fensterbank arrangierte. Bestimmt würde er dabei lauthals singen und den Chor dirigieren. Verwundert schüttelte ich den Kopf. Er brachte mich sogar zum lächeln, wenn ich nur an ihn dachte.
Ich holte das Wichtelgeschenk aus dem Schlafzimmer und packte die große Schneekugel aus. Die weißen Flocken sanken langsam zu Boden. Eigentlich war sie sehr hübsch. In der Mitte stand ein dicker Schneemann zwischen drei Tannen. Daneben die Figur einer Schrumpelhexe. Eine seltsame Kombination, vor allem, da die Hexe eine auffällig rote Brille trug. Ich schüttelte die Kugel, und die Flocken wirbelten um die beiden Gestalten wie ein Schwarm kleiner Fische. Ich stellte sie auf der Fensterbank ab und überlegte, was ich stattdessen zum Schrottwichteln nehmen könnte. Notizbücher besaß ich in rauer Menge. Rote, blaue, grüne, gelbe stapelten sich in meiner Küche. Und ohne weiter darüber nachzudenken, nahm ich sie und wickelte sie in das Geschenkpapier.
Als ich wieder nach draußen trat, pfiff mir der Wind um die Ohren, und Schneeflocken setzten sich auf meine Wimpern. Bis ich den Weihnachtsmarkt erreicht hatte, waren meine Finger steifgefroren. Es war gar nicht so leicht, damit auf der Handytastatur zu tippen.
Wo finde ich Sie?, schrieb ich an Cornelius, und die Antwort folgte nur wenige Sekunden später.
Am Glühweinstand, wo sonst?
Natürlich gab es nicht nur einen Glühweinstand. Es gab etliche. In Trauben standen die Menschen davor und schwatzten. Musik dudelte aus einer Anlage und der Duft von Zimt und Gewürznelken vermischte sich mit dem von feuchtem Hund und Räucherstäbchen.
Trotzdem sah ich ihn schon von Weitem, erkannte ihn an seinem typischen Wippen. Er trat auf der Stelle, um sich zu wärmen, seine Hände umklammerten eine Tasse, aus der Dampf aufstieg. Und mir kamen die Sätze von Anne Elliot in den Sinn:
Sie hatte ihn gesehen! Sie hatten sich getroffen! Sie waren wieder in einem Raum beisammen gewesen!
Und in diesem Augenblick fand ich das gar nicht mehr so albern.
***
Über die Autorinnen
Adriana Popescu , 1980
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