Liebe im Gepäck (German Edition)
das ist viel zu gefährlich. Die Menschenmassen werden dich erdrücken! Die hysterischen Teenies wirst du nie wieder los. Wenn du alleine unterwegs bist, dann nimm stets den Seiteneingang.«
Ha, wo waren die hysterischen Teenager gewesen? Hatte Anuschka übertrieben, oder war deren Fehleneinfach nur ein Beweis dafür, dass sein Stern dabei war zu sinken?
Er würde den Stern wieder zum Glänzen bringen! In seinem Herzen brannte endlich wieder das alte Feuer. Aber zuerst musste er raus aus der Stadt. Luft schnappen, eine andere Umgebung sehen, weg, möglichst weit weg von hier, weit weg von Anuschka, weit weg von den selbst auferlegten Zwängen. In diesem Augenblick wurde die Idee geboren, fortzufliegen, ohne zu wissen, wohin. Ohne zu wissen, für wie lange. Einfach nur weg. Neue Eindrücke gewinnen, neue Erlebnisse aufsaugen wie ein Schwamm, in einem Land, wo ihn keiner kannte. In einem Land, wo er einfach Harry war wie viele andere Harrys auch. Wo das Wort »Seeberstein« noch nie in fetten Lettern als Schlagzeile in der Boulevardpresse geprangt hatte.
»Bitte sehr, da wären wir. Macht zwölf Euro siebzig.«
Harry war froh, dass er genügend Bargeld bei sich trug. Die kleinen Beträge bezahlte sonst Herwig. Die großen seine Kreditkarte.
Matthias Gerstenberg wohnte in einer Reihenhaussiedlung in einer der besten Wohngegenden der Stadt. Keine gediegene, rustikale Gemütlichkeit, sondern klare, schlichte, durchgestylte Häuser. Weiß mit viel Chrom und großen Glasflächen. Und einem gemeinsamen Gärtner, der für die Pflege des akkurat geschnittenen Rasens und der zu Kugeln gestutzten Buchsbäume verantwortlich war.
Matthias hatte vor fünf Jahren Gitte geheiratet und ihren Namen angenommen. Wer wollte schon Schlamm heißen, wenn er Gerstenberg heißen konnte? Noch dazu als Bruder des berühmten Harry Schlamm, dem er wie ein Ei dem anderen glich? Und mit dem er immer und überall verwechselt wurde? Da war es eine Erleichterung gewesen, einen anderen Namen anzunehmen. Und seit er sich auch noch in seinem äußeren Erscheinungsbild bewusst von ihm absetzte, brachte ihn kaum jemand mehr mit dem berühmten Sänger Seeberstein in Verbindung.
Matthias öffnete die Tür, um Harry hereinzulassen. Dann machte er sofort wieder kehrt, um sich wieder seinem Koffer zuzuwenden: »He, schön, dass du es doch noch geschafft hast, Großer! Komm, hilf mir, dieses Ding da zu schließen. Ich hätte vielleicht doch meinen ganz großen Flugkoffer nehmen sollen, aber ich dachte, ich würde mit diesem auskommen. Und jetzt geht das blöde Ding nicht zu. Kannst du dich nicht mal draufsetzen?«
Harry legte sein weißes Sakko über den Stuhl und tat, wie ihm geheißen.
»Wenn ich in Stuttgart ankomme, dann sind alle Anzüge verknittert und die Hemden sehen aus, als hätte sie noch nie jemand gebügelt. Ich hasse Koffer!« Er sah auf, um seinem Bruder zuzulächeln, und das Lächeln verschwand schlagartig. »Wie siehst du denn aus?«
Harry grinste etwas schief: »Ich hab den Spitzbart abgeschnitten.«
»Das sehe ich. Nicht, dass mir das Leid täte. Aber ob diese Art von Bart, die du nun trägst, bei deinen weiblichen Fans auch so gut ankommt?« Sein Tonfall klang zweifelnd.
»Bitte, Matthias, mach endlich den blöden Koffer zu. Und dann brauche ich dein Rasierzeug. Und deinen Friseur. Und deinen Pass.«
Endlich schnappte der Verschluss ins Schloss.
»Mein Rasierzeug kannst du haben. Was meinst du mit ›meinen Friseur‹? Du hast doch deinen eigenen Betreuungsstab, der ohnehin immer um dich herumscharwenzelt.«
»Den kannst du vergessen. Wo ist dein Friseur? Hol ihn her.«
»Heee, aufwachen! Normale Sterbliche wie ich holen den Friseur nicht her.« Matthias klang, als würde er mit einem kleinen ungezogenen Kind sprechen. »Unsereins sucht den Friseur auf. Mein Friseur ist in der Mozartallee. Morgen ab halb elf ist das Geschäft geöffnet. Möchtest du einen Termin vereinbaren?«
Harry grinste: »Ich bin wohl sehr verwöhnt?« Es klang wie eine Feststellung. »Gut, wenn du meinst, dass man den Friseur nicht herholen kann, dann bleibt nichts anderes übrig: Du musst mir die Haare schneiden.«
»Erstens, mein lieber Bruder, bin ich Werbefachmann und kein Friseur, und zweitens setzen wir uns wohl besser in die Küche und du erzählst mir, was los ist. Bist du vor Anuschka getürmt?«
»Na, getürmt kann man nicht sagen. Oder doch, vielleicht tu ich das gerade.«
»Espresso?«
Harry nickte.
»Hast du Hunger?«
Harry
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