Liebe im Gepäck (German Edition)
hatte.
Matthias schob zwei Tiefkühlpizzen ins Backrohr. »Nun erzähl. Von Anfang an.«
»Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Ich brauche Abstand. Anuschka geht mir ordentlich auf die Nerven. Weißt du, was ihre neueste Idee ist? Sie will mich für diese Wüstenshow verpflichten. Du kennst doch diese Art von Sendungen: ›Ich bin ein Star, schickt mich in die Wüste‹ – oder so ähnlich. Aber so weit ist es noch nicht. Noch kann ich mein Publikum mit meiner Musik begeistern und brauche mich nicht zum Gespött der Leute zu machen und Sand zu fressen.«
Matthias stimmte ihm unumwunden zu: »Das denke ich auch.«
»Ich hätte schon längst einen Riegel vorschieben sollen. Diese ganze ›Schlamms Schlacht‹ in den Zeitungen geht mir ja auch gegen den Strich. Aber wenn man einmal im Getriebe drin ist, dann läuft man mit und vergisst zu denken.«
»Und jetzt denkst du wieder?«
Harry nickte. »Ich will mich wieder auf das konzentrieren, was ich gut kann. Ich will Lieder schreiben. Ich vermisse das Gefühl, am Klavier zu sitzen und vor Ideen nur so zu sprudeln …« Er ließ den Satz in der Luft hängen.
»Und wie soll dir das gelingen?«
Matthias schenkte ihm ungefragt ein Glas Mineralwasser ein und schob seinem Bruder auch die kleine Mokkatasse hinüber.
»Ich fahre weg. Irgendwohin, wo mich keiner kennt. Wo ich wieder zu mir kommen kann und mir keiner sagt, was ich zu tun und zu lassen habe. Ich bin sicher, dann kommt auch die Musik wieder.«
»Das erscheint mir vernünftig.«
»Ich wusste, dass du das so siehst, Matthias. Denn in Wahrheit hast du diese Idee schon längst gehabt, nicht wahr? Ich war zwar verbohrt, aber nicht verbohrt genug, um das nicht zu bemerken. Und darum brauche ich deinen Pass. Und deine Frisur.«
»Harry, du hast doch nicht wirklich vor, als Matthias Gerstenberg durch die Welt zu ziehen? Das ist illegal. Sicher ist das Dokumentenfälschung oder irgendetwas in der Art.«
»Wenn ich als Harry Schlamm reise, dann habe ich, so schnell kann ich gar nicht schauen, eine Traube von Journalisten an meinen Fersen kleben. Und Anuschka weiß im Handumdrehen, wo sie mich findet. Ich will das nicht, Kleiner. Diesmal wirklich nicht.«
»Ich verstehe dich schon, Harry, aber ist das nicht zu riskant? Es war etwas anderes, als kleine Jungen die Rollen zu tauschen.«
»Wer soll dahinter kommen? Du bist in Stuttgart. Wenn du zurückkommst, bin auch ich wieder da. Und ich werde aussehen wie du. Niemand wird etwas bemerken.«
»In Amerika nehmen sie jetzt jedem bei der Einreise die Fingerabdrücke ab.« Matthias war schon so gut wie weich geklopft. »Dort erkennt man den Schwindel sofort.«
»Ja stimmt, gut zu wissen. Ich werde nicht nach Amerika fliegen.«
»Wohin dann?« Matthias stand auf, um seinen Pass zu holen.
»Ich weiß es nicht. Ich werde zum Flughafen fahren und einen Platz in einer der Maschinen ergattern, dieheute noch abfliegen. Nenn es Zufall, nenn es Schicksal, ich werde sehen, wohin mich mein Weg führt.«
»Also, da hast du meinen Pass. Aber kein Wort zu Gitte! Sie reißt mir den Kopf ab, wenn sie erfährt, dass ich bei so etwas Illegalem mitmache!«
Harry hob die Hand zum Schwur und nickte feierlich.
»Du bist ein ganz schöner Spinner, weißt du das?« In Matthias Stimme war nichts als liebevoller Bruderstolz.
Harry lachte, und sein Lachen klang nun schon wieder viel befreiter. »Ich weiß«, sagte er, »und nun hol die Schere.«
Die Pizza wäre fast verbrannt, so sehr waren die beiden Brüder mit dem Haarschnitt beschäftigt. Das Endergebnis war nicht wirklich berauschend. Die linke Seite war etwas kürzer als die rechte, doch zu kurz, als dass Harry es zugelassen hätte, dass Matthias auch noch die rechte Seite so kurz schnitt. Also war die Frisur asymmetrisch, doch mit etwas Wet-Gel zum Stehen gebracht, konnte sie durchaus als extravagante Designerfrisur durchgehen.
»Wo hast du dein Gepäck?«
Sie saßen in stillem Einvernehmen am Küchentisch und säbelten an ihrer halb verkohlten Pizza.
»Ach ja, Gepäck. Ich habe keines. Aber ich werde wohl welches brauchen.«
»Wie lange willst du wegbleiben, Harry?«
»Ich weiß nicht, eine Woche, zwei Wochen …«
»Da wirst du natürlich Gepäck brauchen. Ich nehme nicht an, dass dein hübscher weißer Anzug auch noch nach zweiwöchigem Tragen so hübsch und so weiß wäre.«
»Du magst den Anzug nicht?«
»Nein. Um ehrlich zu sein, gefällst du mir besser in Jeans. Oder in einem dunklen Anzug. Weiß ist so
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