Liebe im Zeichen des Nordlichts
nie zuvor eingestanden. Es war nicht so wichtig gewesen, nicht bis sie hier im Krankenhaus lag. Durch das Krankenhaus wurde plötzlich alles wichtig.
Ein Mann wird nur wenige Male im Leben auf die Probe gestellt, sagte Hugh später. Er erkennt die Prüfung selten, während sie gerade stattfindet. Und wenn ihm klarwird, dass es eine Prüfung war, ist es zu spät. Doch sein Verhalten im fraglichen Moment ist es, was ihn ausmacht, was seine Persönlichkeit definiert. Man braucht nicht eigens zu erwähnen, dass David mit fliegenden Fahnen scheiterte.
Gut, er hatte sie ins Krankenhaus gebracht. Der Fairness halber muss man erwähnen, dass er sie sogar bis ins Wartezimmer begleitet hatte und bei ihr geblieben war, bis sie von einer Schwester in Empfang genommen wurde. Doch er würde zu spät zum Flughafen kommen, und wenn er den Flieger nicht erwischte, würde er die Vernissage verpassen. Addie hatte doch Verständnis dafür, oder? Als man sie zur CT -Untersuchung brachte, war er bereits draußen auf der Straße und winkte hektisch nach einem Taxi. Als der Arzt auf den Bildschirm wies, Addie die Flüssigkeit zeigte, die ihre Bauchhöhle füllte, und auf die Stelle deutete, wo sie in den Brustraum eindrang, was die Schmerzen unter den Schlüsselbeinen erklärte, und als er ihr das Ausmaß ihrer inneren Blutungen erklärte, saß David im Taxi und raste durch den Port Tunnel in Richtung Flughafen. Als man sie auf die Operation vorbereitete und den Anästhesisten zur Eile antrieb, weil keine Zeit mehr zu verlieren sei, versuchte er, sie noch einmal anzurufen, während er in der Schlange an der Sicherheitskontrolle stand. Gib mir Bescheid, wie es dir geht, sprach er auf die Mailbox. Dann schaltete er das Telefon ab, legte es in einen Korb und stellte diesen auf das Fließband vor dem Röntgengerät.
Er rief noch einmal vor dem Einsteigen an, aber die Mailbox war abgeschaltet. Als der Getränkewagen durch die Sitzreihen geschoben wurde, bestellte er einen Wodka Tonic, und sobald er den Drink geleert hatte, schlief er ein. Die Stewardess musste ihn wecken, damit er für die Landung seine Sitzlehne aufrichtete. Als er erneut vom Gepäckband anrief, hatte er Della am Apparat, und ihr Tonfall war eindeutig kühl. Sie hätten Addie retten können, teilte sie ihm mit. Allerdings nicht das Baby.
Selig sind die Unwissenden. David hatte nicht die leiseste Ahnung, dass es sich um eine Prüfung handelte. Er kam überhaupt nicht auf den Gedanken, dass er Grund hatte, sich Vorwürfe zu machen. Nicht einmal, als er drei Tage später ins Krankenhaus spaziert kam, eine Schachtel Duty-Free-Pralinen in der Hand und den zusammengerollten Londoner
Independent
in der Tasche, um ihr die Kritik zu zeigen.
Er hätte den Zeitpunkt nicht schlechter wählen können, denn als er aus dem Lift trat, stieß er geradewegs mit Hugh zusammen.
Vom Krankenhaus aus fuhr er schnurstracks zum nächsten Polizeirevier und erstattete Anzeige wegen Körperverletzung. Den Polizisten blieb nichts anderes übrig, als dem Krankenhaus einen Besuch abzustatten. Schließlich hatten sie es mit einer Straftat zu tun, so dass alle Zeugen befragt werden mussten. Als sie Hugh zu einem Gespräch in sein Büro folgten, quietschten die Sohlen ihrer schweren Stiefel auf dem Linoleumboden.
Hugh legte sofort ein Geständnis ab und zeigte nicht die Spur von Reue. »Ich habe ihm eine kleine Lektion erteilt, mehr nicht«, verkündete er. »Das hat er sich selbst zuzuschreiben.«
»Der Bursche ist ein Halunke«, fügte er der Erklärung halber hinzu. »Ein Halunke und ein Taugenichts.« Die Polizisten amüsierten sich über die altmodische Ausdrucksweise. Überhaupt fanden sie die Angelegenheit urkomisch, eine willkommene Abwechslung zwischen all den Säufern und Fixern, mit denen sie sich sonst herumschlagen mussten. Also schüttelten sie Hugh die Hand, steckten ihre Notizbücher in die Brusttasche und trollten sich.
Sie würden die Sache nicht weiter verfolgen. Man konnte ja nie wissen, wann man einmal einen Arzt brauchte.
David ward nie wieder gesehen. Er wagte es nicht mehr, sich blicken zu lassen.
Als Addie aus dem Krankenhaus nach Hause kam, sammelte sie seine Sachen ein und verstaute sie in einem Karton. Es gab nicht viel zu packen, ein paar T-Shirts, einige schwarze Jeans und abgetragene Socken. Da ihr sein dünner Wollschal immer so gefallen hatte, behielt sie ihn. Dann nahm sie das selbstgemalte Bild von der Wand, das er ihr zu Weihnachten geschenkt hatte,
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