Liebe im Zeichen des Nordlichts
eine eigenständige Existenz gestattete, waren sie wunderschön.
Ihre kleinen Tintenfässer hat sie auf das Fensterbrett neben ihrem Schreibtisch gestellt, wo sich jetzt das Licht in ihnen fängt. Am frühen Abend, wenn die Sonne sie bescheint, leuchten sie wie Buntglas, jede Farbe von atemberaubender Schönheit. Addie kann sich nicht entscheiden, welche Farbe sie am liebsten hat. Also sitzt sie da und versucht, eine auszuwählen. Apfelgrün oder Kobaltblau. Das Violett, auf dessen Etikett eine Pflaume abgebildet ist. Sonnengelb. Kanariengelb. Scharlachrot. Ocker. Manche mag sie wegen ihrer Namen. Karminrot. Viridiangrün. Zinnoberrot. Bei anderen begeistern sie die Etikette. Die langbeinige Spinne auf der schwarzen Tinte und der Frosch auf dem Brillantgrün. Sie liebt diese Tinten und braucht sie nur anzusehen, um glücklich zu sein.
Sie hat auch Freude daran, ihre Buntstifte zu sortieren und die blauen, grünen und violetten zusammen in ein Marmeladenglas zu stellen. Die sonnigen Farben wie Gelb, Rot und Orange kommen in ein anderes Glas und bilden eine wundervolle Farbenpracht.
Sie weiß zwar, dass es albern ist, seine Zeit mit solchen Dingen zu verbringen, aber es macht ihr Spaß und schadet niemandem. Ein harmloses Vergnügen, sagt sie sich. Endlich entdecke ich die Freuden harmloser Vergnügungen.
Manchmal fragt sich Della, ob Addie vielleicht ein kleines bisschen autistisch ist. In einer ganz leichten Ausprägung, ohne dass es jemals diagnostiziert worden wäre. Zum Beispiel stellt sie ihre Kaffeetassen umgedreht in Reih und Glied so ins Regal, dass die Henkel alle in dieselbe Richtung zeigen. Wenn die Kinder ihre Stifte durcheinanderbringen, lacht sie zwar darüber, aber es ist klar, dass sie sich am Abend damit beschäftigen wird, sie wieder zu sortieren.
»Es gefällt mir, wie du das Wort
leicht
verwendest«, sagt Hugh schnaubend.
Della zieht sie deshalb auf. »Monica«, meint sie, »du verhältst dich wieder wie Monica.« Dann lacht Addie und tut so, als wäre sie beleidigt. Aber eigentlich stört es Addie nicht, Monica zu sein. Sie war eben schon immer ein ordentlicher Mensch. Inzwischen grenzt es ans Pathologische. Ein harmloses Vergnügen, denkt sie, wenn sie alle ihre Schuhe mit Schuhspannern versieht und sie in einem Ständer am Boden ihres Schrankes aufreiht.
Manchmal hat sie das Gefühl, dass sie ihre Angelegenheiten wegen eines bevorstehenden Abschieds ordnet. Sie stellt sich vor, dass ihr Leben zur Neige geht, dass sie nur die Zeit totschlägt.
Jeder kennt die Situation: Man ist auf einer Hochzeit oder Abendeinladung mit Tanz und sehnt deren Ende herbei, damit man nach Hause gehen kann.
Der Stehempfang war nett, das Essen war gut. Doch nun ist die Mahlzeit vorbei, und die Tische sind beiseitegeschoben, um Platz zum Tanzen zu schaffen. Man sitzt noch am letzten Glas Wein. Beim Essen hat man sich mit jemandem unterhalten, aber jetzt sind alle zum Rauchen nach draußen verschwunden und haben einen allein gelassen. Es ist noch zu früh, um sich zu verdrücken; es wäre auch unhöflich. Doch sobald die Band zu spielen anfängt und die Leute auf der Tanzfläche sind, kann man sich unauffällig aus dem Staub machen. Man kann sich noch leise von den Gastgebern verabschieden. Oder man steht einfach auf, um zur Toilette zu gehen, und kommt nicht zurück. Es bemerkt sowieso niemand.
Die Band stimmt ein Beach-Boys-Medley an. Die Männer legen die Jacken ab, die Frauen ziehen die Schuhe aus, um in Strümpfen zu tanzen.
Man steht, den Mantel über dem Arm, in der Tür und lässt den Blick durch den Raum schweifen, um festzustellen, ob man sich bei jemandem abmelden muss. Doch es scheint kein Mensch mitbekommen zu haben, dass man gehen möchte.
Gerade will man verschwinden, aber in diesem Moment spielt die Band das Lied, das einem am besten gefällt. Das, bei dem man schon immer Lust zum Tanzen gekriegt hat. Bei dem man alle Probleme vergisst und wieder Spaß am Leben bekommt. Man verharrt in der Tür und weiß nicht, was man tun soll. Bleiben oder gehen?
Und in dieser Phase befand sich Addie, als sie Bruno begegnete.
[home]
Kapitel 8
S ie wurde von einem schrecklichen Getöse, einem lauten Wummern an der Tür geweckt. Es klang, als würde jemand auf die Tür eindreschen, ein unregelmäßiger Trommelwirbel. Addie konnte sich schon denken, wer es war.
Sie warf einen Blick auf Bruno. Doch der hatte sich bereits das Federbett über den Kopf gezogen und sich darunter verkrochen. Die Vorhänge
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