Liebe im Zeichen des Nordlichts
ist, von dessen Sitten und Gebräuchen er keine Ahnung hat.
»Ein Baby zu verlieren …«, wiederholte er. Der nicht beendete Satz schwebte zwischen ihnen in der Luft. Einen Moment lang glaubte Bruno, sie könnten es einfach dabei belassen.
Aber Della war keine Freundin von unausgesprochenen Dingen.
Ohne den Blick von ihm abzuwenden, warf sie ihre Zigarette ins Gebüsch.
»Addie ist fast vierzig. In anderthalb Jahren wird sie vierzig.«
Sie schickte sich an, sich zu erheben. Die Bewegung hatte etwas Sachliches an sich. Beim Aufstehen strich sie die Vorderseite ihres Kleides glatt und streckte den Rücken, als müsse sie gähnen.
»
Kein
Baby zu haben«, fuhr sie fort. Kurz verharrte sie neben dem Tisch und neigte beim Sprechen den Kopf leicht zur Seite. »Für eine Frau in Addies Alter hat es viel mehr Bedeutung, kein Baby zu haben, als eines zu kriegen.«
Mit diesen Worten machte sie kehrt und ging ins Haus. Bruno blieb allein im dunklen Garten zurück.
Imelda war eindeutig betrunken.
Das wurde Bruno klar, als sie anfing, am Tisch zu rauchen. Sie zündete sich eine neue Zigarette an, bevor sie die alte zu Ende geraucht hatte. Dass diese im Aschenbecher vor sich hin qualmte, schien sie gar nicht zu bemerken. Wortlos griff Simon danach und drückte sie aus. Della nahm die Weinflasche und schenkte allen nach, obwohl die Gläser noch halb voll waren. Addies Hand schoss nach vorne, um ihr Glas abzudecken, aber Della hatte bereits mit dem Eingießen angefangen. Ein paar Tropfen landeten auf Addies Hand. Sie leckte sie ab.
Dann legte sie die Hand wieder auf Brunos Bein. Sofort breitete er seine darüber.
»Also, Bruno«, fragte Della mit einem drohenden Unterton in der Stimme. »Wie lange bleibst du noch?«
Addie bemühte sich um Ruhe, während sie auf Brunos Antwort wartete. Sie hätte Della umbringen können, doch Bruno war die Höflichkeit in Person.
»Mein Rückflugticket ist auf den 5 . November ausgestellt«, erwiderte er. »Das ist der Tag nach der Wahl.«
Addie entging nicht, wie er sich ausgedrückt hatte, und sie klammerte sich wider besseres Wissen an diese kleine Hoffnung.
»Wenn Obama gewinnt«, fuhr er fort, »werde ich im Triumph zurückkehren.«
»Und wenn nicht?«, hakte Simon nach.
Addie war schon gespannt auf die Antwort, aber Della ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Hörst du jetzt endlich auf? Wie oft soll ich dir noch sagen, dass Obama gewinnt?
Obama wird gewinnen.
«
Addie hätte sie am liebsten erdrosselt.
Doch natürlich hatte Della recht. Es war unvermeidlich, der Lauf der Geschichte. Addie fühlte sich so entsetzlich hilflos, als säße sie auf einem Felsen und sähe zu, wie sich die Flut näherte. Und wenn wieder Ebbe einkehrte, würde sie Bruno mit sich forttragen. Und sie würde wieder ganz am Anfang stehen. Sie hatte schon das Bild vor Augen, wie sie allein mit ihrem kleinen Hund am Strand spazieren ging. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen.
Im nächsten Moment fuhr sie hoch und versuchte festzustellen, wer gerade redete.
Bruno erklärte Simon etwas, das mit seinem Beruf zusammenhing.
»Meine Tätigkeit ist ziemlich speziell«, meinte er. »Ein bisschen so, als ob man versuchen würde, Sandsäcke zu verkaufen, wenn die Überschwemmung vorbei ist. Ich glaube, nach Leuten wie mir herrscht keine sehr große Nachfrage mehr.«
»Das ist der große Vorteil, wenn man Arzt ist«, erwiderte Simon. »Krank werden die Menschen immer.«
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Kapitel 24
I n diesem Herbst verliebte sich die ganze Welt.
Die Luft war klar und kalt, der Himmel blau. Die Bäume leuchteten in sämtlichen Farben von Braun bis Gold. Amerikanisches Wetter, als wäre der prachtvolle Ostküstenherbst mit allem anderen über den Atlantik geweht worden.
Natürlich hatte Della eine Analogie dafür auf Lager. Schließlich verfügte sie über ein großes Repertoire.
»Der arme alte Sarkozy«, meinte sie. »Die arme Angela Merkel. Im Vergleich wirken sie so altbacken. Es ist, als wären wir nachmittags ins Kino gegangen, um zwei Stunden lang George Clooney anzuschmachten. Und dann kommen wir nach Hause, und auf dem Sofa sitzt der Ehemann mit Bierbauch.«
Es war, als hätte die Welt einen neuen Liebhaber gefunden. Plötzlich machte das arme, alte, selbstgefällige Europa einen abgenutzten Eindruck, während Amerika, das so lange die Zielscheibe internationalen Spotts gewesen war, in neuem Glanz erstrahlte.
Zum ersten Mal im Leben hatte Addie aufs richtige Pferd gesetzt.
Noch nie hatte sich
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