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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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Karfreitagabend, die drei anderen Frauen, Tine, Doris, Yvonne, bei ihren Eltern. Nur war Tines Ex plötzlich aufgetaucht, ein US-Soldat aus Friedberg, der Rilke und Freud zitieren konnte, Jeremy, Nachname unwichtig, wichtig war nur sein Charme, und es war das erste Mal, dass sie diesen Ausdruck begriff: einem Charme erliegen. Sie machten es, als Renz in die Wohnung im Nordend kam, er hatte einen Schlüssel, und sie machten auch einfach weiter, auf dem Boden nah an der Tür, ein irrer Spaß, nicht viel mehr, und Renz zog sich zurück, tagelang, und schließlich rief sie ihn an, Ich bin es, Vila, und fragte, ob es ihm wehgetan habe, und seine Antwort war dieses Ja. Sie hörte ihn ins Bad gehen, die Klobrille anheben und in einer langen Minute das tun, was sie in Sekunden tat, dann die Spülung und das Zuklappen von Brille und Deckel, der Gang zu seinem Zimmer, das Schließen der Tür. Morgen war Sonntag, und sie würden zusammen frühstücken. Wenn sie in die Küche käme, lägen schon Brötchen auf dem Tisch, drei Sesam und zwei Mohn. Mittags dann etwas Arbeit, die nächsten Anmoderationen schreiben, und gegen Abend Elfi und Lutz, um von der Oper zu erzählen, das taten sie immer, Lutz mit nur leichter Kritik, auch wenn ihn vier Stunden moderne Oper jedes Mal fertigmachten, aber für Elfi legte er sich auch im Anzug krumm. Sie nahm ihr Bier und ging damit in das Zimmer, das Renz kaum betrat, wenn die Tür zu war; ein gemeinsames Zimmer, gemeinsames Bett, gab es nur bis zu Katrins Geburt, sie hatte dem Kind dann zu viel Raum geschaffen, und er hatte nichts gesagt, sich bloß zurückgezogen, ein eigenes Lager aufgeschlagen, bald auch mit eigenem Fernseher vor dem Bett: gemütlich, wenn Katrin schlief und sie zu ihm kam, aber im Grunde hatten sie beide nicht aufgepasst, und jetzt gab es nur noch Hotelbetten, die sie sich teilten, an Weihnachten wieder im Charela Inn, das müsste sie jetzt eigentlich schon buchen, wenn sie noch den Spartarif wollte.
    Es war bald zwei, aber sie machte ihr Notebook an, wie sie ganz am Anfang mit Renz, noch vor der WG-Phase, mehrmals am Tag in den Briefkasten gesehen hatte, ob irgendein Zeichen von ihm darin lag. Sie hatte eine Mail mit Anhang, keine Stunde alt, ein paar Zeilen ohne Anrede oder die Anrede darin versteckt: Noch immer in dem Hotel mit den Giotto-Drucken – es gibt nur einen Maler, Vila, der Franziskus erfasst hat, den Spanier Zurbarán. Aber sein tiefstes Bild, siehe Anhang, heißt Agnus Dei. Sieh es dir an, aber antworte jetzt nicht, schlaf lieber! Und sie öffnete den Anhang, das Bild baute sich auf, eine Schirmgeburt, bis sie es im Ganzen hatte. Ein Lamm war da zu sehen, nichts weiter. Ein Lamm, flachgelegt, sein Fell gemalt wie zum Greifen, Vorder- und Hinterläufe kreuzweise gefesselt: das Tiergeschöpf schlechthin, von Gott den Menschen überlassen, der Kopf matt nach vorn gestreckt auf ebener Fläche, zugleich der Bildhorizont, das eine Auge halb offen, ein traurig gefasster Blick, die Hörner nach unten gekrümmt, also ein Bock? So genau weiß sie das nicht, sie weiß nur, dass dem Lamm etwas bevorsteht, man ihm bald die Kehle durchtrennt oder alles Fell nimmt, es auf die eine oder andere Art töten wird; es fühlt seinen Tod schon, aber hat keine Angst. Der, der ihm zu Leibe rücken wird, liebt es.
    *

IX
    GIOTTO di Bondone, oder kurz Giotto, fast ein Menschenleben nach Franziskus geboren, als der noch in aller Munde war, erhielt als Maler schon im Alter von fünfundzwanzig in Assisi den Auftrag für die Fresken zum Leben des Santo Poverello, eine Arbeit an den Decken und Wänden der großen Basilika bis in sein reifes Mannesalter – acht Jahrhunderte später auf unzähligen Drucken über den Hotelbetten der Stadt. Bühl hatte das Bild Der Platz des Franziskus im Paradies gegen ein anderes aus dem Flur ausgetauscht, Die Ekstase des Franziskus, darauf dargestellt sein Abheben vom Erdboden bei tiefer Versunkenheit ins Gebet, das Entschweben in leuchtenden Wolken, verfolgt von vielen Mitbrüdern, ein Bildertausch, so unbemerkt wie das Aufhängen von zwei weiteren Drucken aus dem Zyklus, beide zuvor im Treppenhaus, jetzt über dem kleinen Schreibtisch im Zimmer, Die Vertreibung der Dämonen und Die Predigt an die Vögel. Drei Bilder also, die er um sich haben wollte nach dem einen Tag mit Vila, und alle drei nur Ersatz für das Bild, das er ihr nachts geschickt hatte und das auszudrucken, sicher in noch minderer Qualität als die Giottos aus dem Treppenhaus, nicht in

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