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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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Frage kam.
    Agnus Dei von Zurbarán, Lamm Gottes, aber auch Schöpfung dessen, der es göttlich gemalt hat, war das einzige Bild in den vier Wänden seiner Kinderfrau, der Hug Tulla, wie alle sie nannten, weil sie Tulla Maria Hug hieß. Unzählige Male hatte er sie in ihrer kleinen Wohnung im Hinterhaus der Confiserie, in der sie mehr als nur aushalf, besucht, ganze verregnete Nachmittage brachte er dort zu, wenn der Vater unterwegs war und die Mutter im Damensalon Zimmermann saß, ja oft auch ganze Nächte, wenn die Eltern am Wochenende etwa in Badenweiler waren, um ihre Ehe im Hotel Römerbad zu erneuern. Vor den Nächten aber die Abende, immer ein Programm, die Hug Tulla ging mit ihm zuerst in die Dreisam-Lichtspiele, in einen Film mit Gladiatoren oder Außerirdischen, auch wenn sie dabei einnickte, und danach noch in die Kirche, um sich an die Namenspatronin Maria zu wenden, und schließlich in ihre Wohnung, wo sie ihm ein zweites Abendessen machte, Bratkartoffeln mit Ei und Wurststückchen, und dazu durfte er ein Glas Bier trinken, um besser zu schlafen, aber bis er schlief, erzählte sie ihm von Filmen, die sie sich ansah, wenn er nicht dabei war, solchen in Schwarzweiß, die immer montags liefen, dem Tag, an dem nur Eigensinnige wie sie ins Kino gingen. Im Grunde erzählte sie ihm von der Liebe, auch wenn dieses Wort nie vorkam, und seit er zwölf war, schon im Internat, ging er an jedem Montag in den Ferien selbst ins Kino, erstaunt darüber, wie genau Tulla ihm alles erzählt hatte: ob Gregory Peck und Audrey Hepburn, ob Jean Paul Belmondo und die junge Amerikanerin, die in Paris auf der Straße die Tribune verkauft, er kannte schon alle großen Paare samt ihren Nöten. Nur Tulla kannte er nicht, die liebte er einfach, wie man als Kind eine gute Lehrerin liebt oder wie er das einzige Bild in ihrer Wohnung liebte. Nach seiner Schulzeit, als er kaum noch nach Hause fuhr, verlor er sie aus den Augen, und eines Tages gab es anstelle der Confiserie einen Thai-Imbiss, und die Hug Tulla, hieß es, sei fortgezogen. Sie war verschwunden, sogar in ihm verschwunden oder abgesunken – bis er nach der Rückkehr vom Flughafen Florenz, als er im Hotel noch arbeiten wollte, eine Nachricht fand. Seine alte Kinderfrau hatte irgendwen gebeten, ihm eine Mail zu schreiben, die Adresse konnte nur vom einzigen Zartenbacher Beerdigungsgeschäft kommen, Pietät Drengle. Tulla war jetzt in einem Altenheim bei Unterried, dem Dorf von Spiegelhalter, und hatte erst kürzlich und nur durch Zufall vom Unfalltod seiner Eltern gehört, und ihr Schreiben an ihn war bis auf zwei Zeilen über das Heim ein Trösten nach dem Verlust, wie sie ihn mit Bratkartoffeln und Kinogeschichten getröstet hatte, als die Eltern noch lebten und trotzdem weg waren, für ihn nicht da. Und seine Antwort war eine Aufzählung der besten Erinnerungen an Tulla Maria Hug, einschließlich des gerahmten Drucks über ihrem Bett, dazu das Versprechen, sie bald zu besuchen.
    Und kaum war das abgeschickt, hatte er sich das gefesselte Lamm auf den Schirm geholt; dort war es jetzt als Schonbild für das Gerät und Mahnbild für ihn, der sein Leben danach gerichtet hatte, niemanden mehr zu vermissen, aber seit dem Moment, in dem Vila hinter der Schleuse verschwunden war, alles an ihr, jede erwachsene Kleinigkeit, vermisste. Und der auch nur gefasst sein konnte, so wie das Lamm. Vilas Reaktion auf das Bild kam am nächsten Tag, Danke für das Wesen! Muss ich es bedauern oder beneiden? Und die Antwort hatte zwei Sätze mehr: Es mit beidem versuchen. Und ob sie sich irgendwann in Freiburg sehen könnten, für ihn gebe es in der Nähe etwas zu tun. Das Intercity-Hotel am Bahnhof, mit ihr zusammen ein Paradies! Er drückte auf Senden, dann verließ er sein Zimmer und das Hotel. Es regnete immer noch oder schon wieder, die steingrauen Häuser und Gassen, die Winkelwege, steil aufwärts und abwärts zu versteckten Kirchen, schimmerten vor Nässe, als die Laternen angingen, ein November, wie es schon Hunderte gab in Assisi, der Monat der Klammheit, feucht, dunkel, still, immer schon.
    DIE Stadt am Berg nach dem Abendläuten wie ausgestorben; nur später vereinzeltes Hufeklappern, dazu eine helle Stimme, die ein Lied von weither singt, aus Frankreichs Süden, eines von Wärme und Licht, von Meeresglanz und Düften nach Lavendel und Zimt und den Nacken junger Frauen unter einem schweren, sonnenbeschienenen Haar. Giovanni Francesco, Sohn des reichen Bernardone, reitet durch die dunkle

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