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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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ständige Alarm einer Idee: den Rest ihres Lebens irgendwie mit ihm zu verbringen. Erst gegen Morgen ein ganz anderer Gedanke, neben einem Unbekannten zu liegen, aber auf seinen Mund zu warten, die vertrauten Hände, seine Stimme: die sie dann überrascht hatte, Schläft du nicht? Ein Flüstern, und gleich darauf seine Hand, er streichelte die Brüste, die Renz nur noch pro forma streichelte, nicht weil sie nicht mehr schön wären, weil er sie kannte, in- und auswendig, hatte er einmal gesagt. Er streichelte auch ihren Bauch und die weiche Seite der Schenkel, und sie fing morgens um fünf ein Gespräch an, Teil der Liebesschwerarbeit, sie wollte mehr über seinen ertrunkenen Lehrer wissen, ob der kein guter Schwimmer gewesen sei als Leiter der Ruder-AG. Und er darauf, sinngemäß: Sogar ein sehr guter, Heiding hat mich zum Schwimmen gebracht. Erst zum Schwimmen, dann zum Rudern, bis ich ein noch besserer Schwimmer und Ruderer wurde. Ich hatte mehr Kraft im Wasser, er mehr an Land. Aber an Land war es keine Frage der Kraft, er hatte dort mehr Willen. Und mitten auf dem See fehlte ihm der Wille, darum ist er ertrunken. Wollen wir nicht schlafen, bist du nicht müde? Er strich ihr das Haar in die Stirn, wie einen Vorhang über die Augen, aber sie wollte wach bleiben, keine Zeit an seiner Seite vergeuden bis zur Abfahrt am Sonntag, damit sie noch eine Puffernacht hätte, ehe Renz aus Berlin zurückkam. Ja, schlafen wir, sagte sie, auch pro forma, um dann ihr Gesicht an seins zu legen, in einer Art heiligem Ernst, wie bei den Liebenden von Pompeji, die im Augenblick der Katastrophe für immer eins wurden, eine gemeinsame Leerstelle im Vulkangestein: ihr dritter klarer Moment, fast schon ein Morgentraum.
    Bis zum Mittag hatte Bühl dann geschlafen, geweckt vom Licht im Zimmer, ein sonniger Märztag, gut für die Fahrt mit Tulla, und keine Stunde später saß man in dem Mietwagen, sie hinten, er und seine alte Kinderfrau vorn, Tulla auf dem weißen Haar ein rotes Spitzhütchen, ihre Bedingung an dem Sonntag der Umzüge in allen Orten ringsherum. Und Tullas Wunschroute führte über das Höllental nach Titisee, von dort über Bärental bis zum Feldberg und weiter über Notschrei zum Schauinsland und wieder talwärts nach Unterried – sie hatte sich das notiert. Es gab wenig Verkehr, die Leute waren bei den Umzügen, und zum Feldberg hin gehörte die Straße ihnen. Die letzte Strecke meiner Eltern, hatte Bühl auf einmal gesagt. Auch so ein sonniger Tag, auch so frisch, und trotzdem fahren sie offen in ihrem neuen 6er-Cabrio, das muss sein. Rupert und Rita Bühl lassen es krachen auf einem freien Stück hinter dem Feldberg, vor einer Kurve überholt mein Vater noch einen Laster, und in der Kurve plötzlich ein Stauende. Er kann noch knapp bremsen und schleudert nicht, das ABS funktioniert, nur der mit Schweinen beladene Lastzug schafft es nicht mehr, er prallt auf das Cabrio, Karosserie und Insassen werden wie eins, auf der Straße tote und schreiende Schweine. Und nur wenige Stunden danach schon zwei Polizeibeamte, Mann und Frau, an meiner Frankfurter Wohnungstür, beide vorbereitet auf solche Aufgaben, die Kollegin sagt die entscheidenden Worte. Zehn Tage später die Beerdigung, drei Monate später der geregelte Nachlass, ich bekam einen Böcklin und etwas Schmuck, Haus und Bargeld gingen in eine Steuernachzahlung. Wollen wir uns etwas bewegen? Er hatte vor einer Biegung mit kleinem Parkplatz gehalten, und sie waren ein Stück zwischen Wald und Straße gegangen, Tulla in der Mitte, gestützt. Es war in dieser Kurve, sagte er. Das Grab liegt an der falschen Stelle. Und wo willst du einmal liegen? Eine leise Frage an die alte Kinderfrau, und sie hatte ihm etwas zugemurmelt, nicht zu verstehen, nur das Ja, das von ihm kam, ein Ja wie das gültige vor einem Altar, das sie nie bekommen hatte, vielleicht weil ihr der Mut fehlte, es selbst auszusprechen. Ja, ich will dein sein. Und die Weiterfahrt dann mit Musik, um die Stimmung zu heben, Tulla hatte eine CD mit deutschen Schlagern aus dem Aufenthaltsraum eingesteckt, also hörten sie Marmor, Stein und Eisen bricht und Schöner fremder Mann oder Ganz in Weiß mit Roy Black und Der Junge mit der Mundharmonika und zuletzt die Polonaise Blankenese, da sangen sie mit, so ging es die Schauinslandserpentinen hinunter, und als sie vor dem Altenneubau, auch ganz in Weiß, aus dem Wagen stiegen, wäre Tulla fast umgekippt; sie führten sie auf das Zimmer und brachten sie ins Bett, Bühl

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