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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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ist, war weder höllisch noch himmlisch, es war irdisch gut. Sie sah aus dem Fenster, die Gegend bei Offenburg, auf den Schwarzwaldhängen bleiche Schneereste. Ihre Hand hatte dann noch lange auf seinem erschöpften Teil gelegen, wie auf einem Tauschobjekt, gib es mir, damit ich weiß, was es will, du bekommst dafür meinen Schoß. Kein präziser Gedanke, nur ein präzises Gefühl. Und am anderen Tag der Besuch bei Tulla Maria Hug in einem Neubau am Ortsrand von Unterried, über dem Eingang ein Name, Haus Schauinsland. Bühls alte Kinderfrau hatte ihr als Begrüßung nur zugenickt, sie saß die ganze Zeit auf einem Plastikstuhl am einzigen Fenster ihres kammerartigen Zimmers, das Fenster mit Blick auf ein Energie sammelndes Scheunendach, bläulich spiegelnd: Wie das Meer, sagte sie, obwohl sie noch nie am Meer war. Sie trug Trainingshosen und eine weiße Strickjacke, das noch weißere Haar im Nacken geknotet, und ihr Gesicht, siamkatzenhaft, war so voller Fältchen, dass es schon etwas von einer Maske hatte, viel feiner als die Falten einer Holzmaske, die in ihrem Schoß lag, das handgeschnitzte Erbstück ihres Bruders aus seinen Jahren als Teufel in der Höllenzunft. Bühl gab ein paar Erklärungen dazu, er hielt Tullas Hände, und dann sprachen die beiden in ihrer Sprache, erst über die Autofahrt, wohin es morgen gehen sollte, dann über sie, die Frau aus Frankfurt. Ob das etwas Ernstes sei, so viel hatte sie heraushören können aus dem alemannischen Singsang der Hug Tulla – Ebbis Ernschtes, Bühl hatte ihr das später vorgesprochen –, und seine Antwort: Ja. Damit war sie akzeptiert, und Tulla erzählte ihr von der Fasnet, wie sie einmal war, von den Teufeln, die den Buben beim großen Umzug nachjagten, sie in Säcke steckten, und den Hexen, die mit Besen auf Mädchen losgingen. Sie sprach von den Geißleklöpfern, die mit ihren Peitschen lauter knallen konnten als ein Gewehr, vom Federhannes und dem Schellennarro mit seinen Glöckchen am Kittel, von Spättlesbrüdern, Judenfürzen und Flecklesgewändern und schließlich der Hexenverbrennung am Dienstagabend, wenn die Brigittehex, eine große Strohpuppe, in Flammen aufging und Hunderte schweigend zusahen, schon halb bei der Fastenzeit, die nun kam. Ein Erzählen, bis es später Nachmittag war, dann machte Tulla einen Punkt und stand auf. Sie legte die Holzmaske in den Zimmerschrank, auf einen Stapel Tischwäsche, und wandte sich dem Bett zu, ihre Art, den Besuch zu beenden; für Bühl nur noch ein Kuss auf die Stirn und für seine Begleitung ein nachgerufenes Wort, Häsch Glück mit däm – ein Wort, das sie im Zug wie Proviant mit sich führte –, und beim Verlassen des Heims ein weiterer klarer Moment: Sie hatte kein Glück, sie war im Glück, Vila im Glück, inmitten eines Strudels von Glück, das kleine Loch darin. Und später sind sie noch spazieren gegangen, im letzten Schnee auf kleinen Hängen über dem Ort, immerzu eingehakt, ja verklammert Arm in Arm, mal im Harsch, mal auf durchweichten Wiesen, ein Gehen ohne Worte, am Ende mit nassen Füßen. Und im Zimmer gleich die heiße Dusche, sie beide in einer winzigen Zelle im Dampf, kaum zu sehen, wer wo anfing, wer wo aufhörte, das mussten sie schon herausfinden, erst unter dem Strahl, dann beim Abtrocknen, dann im Bett, ein Tun mit der Neugier von Hunden, die einander umschleichen, beschnuppern, sich reiben und sekundenlang balgen, dann wieder Abstand nehmen, sich nur ansehen, und auf einmal bespringen, sich kugeln, ein Knäuel, bis einer die Kehle zeigt, wenn du es tun willst, dann tu es: eine Wendung aus dem Nichts, sie auf dem Bauch, er mit dem Mund an ihrem Nacken, und mit einem Mal – ein Moment dunkler Klarheit, wenn es den gibt – hatte sie ein Bein angewinkelt, Teile der Decke unter ihren Bauch geschoben, sich ihm geöffnet, dass er alles hätte haben können, auch ihren Schmerz, ihre Scham, aber es war zu viel für ihn, oder er war weniger als er selbst in dem Punkt, ein Opfer. Nur sie wollte das in dem Augenblick, alles auf einmal haben, verschmelzen, wo sonst Männer mit ihresgleichen ein Ganzes werden, sie wollte ihre letzte Unschuld verlieren, und er konnte nicht der sein, der ihr von hinten ins Ohr sagt, es wird wehtun, aber nur für einen Moment.
    Der Zug hielt in Karlsruhe, eine Frau kam ins Abteil, etwa ihr Alter, beiger Mantel, graues Haar, schmale Brille, sie hatte ein Notebook dabei und fing sofort an zu arbeiten, ihr Mund machte winzige Bewegungen, ein hübscher Mund, wie in

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