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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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hier noch fremder als sie: ihr erster Eindruck von dem Ort. Aber die Lamas im Klostergarten auch wie ein Teil der Fastnacht, eines abendlichen Treibens auf der Hauptstraße zwischen Schleckers Drogeriemarkt (früher Gasthof Fortuna) und dem Wirtshaus Zum Sternen. Ältere Jungs mit Stöcken, an denen Luftballons hingen, jagten dort Kinder und ließen die Ballons auf den Köpfen der Kleinen platzen, Eltern fotografierten das Spektakel, helles Blitzen, helles Geschrei: Fasnetauftakt, Donnerstagabend, die Luftballons noch zu Bühls Kindheit stinkende Schweinsblasen, Saublodere am Schmutzig Dunschtig, wie er ihr das auf einen Bierdeckel geschrieben hatte, als sie später im Sternen saßen, bei Wurstsalat mit Bibbeliskäs und Brägele oder Bratkartoffeln, der erste Abend von dreien und auf der Rückfahrt nach Frankfurt, Faschingssonntag, schon mit den zwei anderen verschwimmend.
    Die Dinge waren an ihr vorbeigezogen, fast wie die ersten Wochen mit Renz, und doch zwischendurch ein paar überklare Momente, der erste schon, als sie im Dunkeln vom Sternen zum Goldenen Adler liefen. Bühl zeigte auf ein Bauernhaus am Hang, das Dach auf einer Seite tief heruntergezogen, ein Schwarzwaldhof, nur der Sockel aus Stein, alles übrige Holz, bilderbuchhaft wie das ganze Unterried, bis auf den Drogeriemarkt und eine Tankstelle mit kleiner Opel-Vertretung; und genau dort blieb er stehen, zeigte auf den Hof: einst der Hof von Alez Spiegelhalter, im Krieg gefallen, jetzt im Besitz eines Freiburger Orthopäden. Aber der Enkel, Karl Spiegelhalter, darf dort wohnen, sagte er und hielt sie dabei um die Hüfte, und sie sah in sein Gesicht statt zu dem Hof, ein Gesicht, das immer noch etwas Fremdes, Unleserliches hatte, mehr als in Frankfurt oder Assisi, vielleicht durch seine Art, die Worte und Namen der Gegend auszusprechen, Saublodere oder Alez Spiegelhalter, als hätte er ihn gekannt wie Sören Kampe, auch Opfer eines Krieges. Sein Tod war schrecklich, aber ging ihr nicht wirklich nah, wie auch; alles Nahe gehörte Bühl, trotzdem er im Weitergehen noch immer Dinge aus Unterried und seinem Dorf erzählte – die in allem anders waren als ihre Kindheitsdinge, grober, nackter, und sich doch mit ihnen trafen, zwei Vergangenheiten in einem Stück Gegenwart, als sie sich im Adler-Treppenhaus, neben der alten Brauereiehrenurkunde, plötzlich küssten. Und im Zimmer hatte sie dann an seine Brust getippt, einmal, zweimal, wie im Vorjahr bei der Botticelli-Ausstellung im Frankfurter Städel, als sie eine Sekunde allein war, an die Brust der Simonetta Vespucci. Und kurz darauf waren sie im Bett, ohne den Umweg ins Bad, Ich will dich jetzt, nicht in zehn Minuten, jetzt, so wie du bist: Worte wie eine Umarmung von hinten, noch in ihr nachklingend auf der Zugfahrt, nur fing das Erzählen im Bett erst richtig an. Er hatte seine Hug Tulla besucht, den Notar aus Freiburg gleich mitgebracht, war mit ihr eine Patientenverfügung durchgegangen: nicht das Heim, sondern er hätte jetzt das letzte Wort, wenn es mit ihr zu Ende ginge, sie wollte keinerlei Lebensverlängerung. Tulla will eingehen wie eine Blume ohne Wasser, sagte er. Und sie will dich sehen, ich habe ihr erzählt von dir, wir machen eine Autofahrt, bist du dabei? Er streichelte ihr Haar, und natürlich war sie dabei, wollte aber wissen, was er von ihr erzählt hat. Und er, fast empört: Was wohl? Die Fakten. Sie heißt Vila, und sie kommt aus Frankfurt, und sie ist schön! Eine Art Jubelruf, als er auf ihr lag, abgestützt, der Körper leicht, nicht erdrückend, und alles Weitere so übermächtig, dass es den anderen, tatsächlich erdrückenden Teil ihres Lebens beiseiteschob, als existiere er gar nicht.
    Schon auf der Hinfahrt hatte sie an diese blinden Minuten gedacht, und auf der Rückfahrt dachte sie wieder daran, allein in einem Abteil erster Klasse, nach Zahlung der Differenz zu ihrem Ticketpreis, eine Flucht vor Faschingsleuten im Großraumwagen. Jetzt hörte sie nur von weitem Gesang, das war auch in der Nacht so, irgendwer hatte auf der Straße gesungen, und Bühl stimmte sogar leise ein, Borstig, borstig, borstig ist die Sau, und wenn die Sau nicht borstig wär, dann gäb sie keine Würste her, und dabei schlief er mit ihr, das Ganze ein einziges Glück, Glück auch im Sinne von Zufall: zwei mit demselben Maß im Bett, am Ende ein Atmen wie aus einem Mund, nur ist Erfüllung Augenblickssache, wer an mehr glaubt, ans Paradies, glaubt auch an die Hölle. Tut sie aber nicht. Was da geschehen

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