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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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Bühnenbildnerin, einer, der nicht gewusst hatte, wo ihm der Schwanz steht, vom Kopf noch gar keine Rede, den brauchte er zum Malen nicht. Damals empfand er sich ganz als Künstler, als visuelle Universalbegabung, Pinsel und Leinwand nur eine Vorstufe zum Film, aber nicht als Kritiker mit Schnurrbart und Cordjackett. Er sah sich als künftigen Kameramann, als einen wie John Alonzo, der vorher Schauspieler war, sein Traum zu der Zeit: einen Film wie Chinatown machen, eine Szene wie die mit Gittis und den drei Polizisten in greller Sonne bei den trockenen Wasserkanälen von Los Angeles, alle vier mit Hüten, und der Sonnenschatten genau so, dass er bei jedem die Augen verdeckte, da trafen sich Malerei und Film. Und im Leben hatten sich er und Vila getroffen. Ohne die er aber nicht mehr sein wollte, gestern nicht, heute nicht, morgen nicht. Und eigentlich war es kein Unglück, dass es so war: Es war das Einzige, das ihn stolz machte, sogar in diesem Zimmer nur in Hemd und Socken – Teil einer langen Ehe sein, immer auch bitter, gar keine Ehe haben, erbärmlich. Renz kam aus dem Bett, auf dem Weg zum Waschbecken ein Blick in seine Notizen in Blockschrift. Köszönöm, sagte er, jedes ö betonend, und die Ungarin mit Mailänder Hintergrund: Niente, was mehr war als nur ein Wort, kein Schon gut oder Vergiss es, sondern nichts als die Wahrheit. Wir zwei hatten nichts, also kein Danke. Er ließ das Waschen ausfallen und zog sich an, jetzt ohne Assistenz; Noémi telefonierte in ihrer Sprache, als sei er schon nicht mehr da. Er winkte nur kurz zum Bett, fast ein Kinderwinken, und lief auch schon aus dem Zimmer und der Pension und dem Gründerzeithaus. Blieb noch, den Restabend mit sich zu verbringen, das war er sich schuldig: nicht einmal Marlies anzurufen für etwas Trost. Also allein das Renzsein, in einem Lokal, in einem Kino, im Hotelbett, nur er selbst in der Form seines Lebens, ohne dass jemand es sah: ein Held, wie er nie einen ins Hauptprogramm gebracht hatte, aber im Herzen herumtrug. Man wächst nicht mehr über sich hinaus in seinem Alter, man wächst still in sich hinein.
    Am anderen Tag stieg Renz um acht in den Zug und betrat mittags die Wohnung in der Schadowstraße und traf Vila im Flur. Sie kam gerade aus dem Bad, ein großes Handtuch vor dem Bauch, und er sagte, er sei wieder da, und sie sagte Ich nicht, da war sie schon vorbei an ihm, in der Küche. Sie frühstückte erst, und er machte sich ein Notmittagessen, Rührei mit Pellkartoffeln, die noch vom letzten gemeinsamen Abend im Kühlschrank waren. Und der Schwarzwald? Eine Frage beim Nachsalzen am Tisch, und Vila erzählte von den Klostergartenlamas, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, und von einem Umzug mit Hexen und Teufeln, den sie erfand. Heute ist Rosenmontag, sagte sie im Hinausgehen.
    Renz hörte noch ihre Zimmertür, die etwas klemmte, wenn man sie ganz zuzog, und dann nichts mehr, als sei es später Abend, nur war es erst früher Nachmittag, eine tödliche Zeit; als er ein West-Berliner Kind war, sollte er schlafen in dieser Zeit, schlief aber nie, seine barockhafte, in ihrem Dokumentarfilmarchiv erstickende Mutter saß noch bei ihm, rauchend, und er spielte das schlafende Kind, bis sie abzog. Er wusch die Pfanne aus, dann ging er in sein eigenes Zimmer, machte das Notebook an und übertrug die Missbrauchsnotizen in eine Datei, die er Falscher Mittagsschlaf nannte. Was ihm fehlte, das waren die Figuren, Täter, Opfer, Mitwisser und ein Held, der alles aufdeckte. Renz rief am See an, er wollte mit Bühl reden, Bühl sollte von Aarlingen erzählen, wie sieht ein Junge aus, der schon mit zwölf ein Doppelleben führt, aber Bühl war nicht da oder war im Garten und hörte das Läuten nicht. Nur musste er jetzt mit irgendwem reden, der Nachmittag hatte noch etwas Endloses, also rief er Marlies an, und von ihr sofort ein Ja, als würde sie neben dem Telefon liegen, auf nichts anderes als seinen Anruf warten. Er fragte nach ihrem Zustand, und sie fragte nach Kilian-Siedenburg – den sie genauso nannte, nicht etwa Cornelius oder Mein Ex –, und er erzählte von dem einen Treffen, bis sie ihn unterbrach, auf ihre neuesten Medikamente kam, was die alles ausknipsten, alles, bis auf ein Stückchen Verstand. Keinerlei Schmerzen mehr, nur der Abschiedsschmerz, sagte sie, und er versuchte, ihr das Wort Abschied auszureden, als Vila spielerisch gegen die Tür klopfte, Grüß deine Elende – ein halblautes Wort im Vorbeigehen, wie er es nie gehört

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