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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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Gegebenheiten nicht dazu zwingen. Oder haben wir hier solche Erdbeben, neun Komma neun? Er stand jetzt vor dem Bad, eine Hand auf der Klinke, aber er drückte sie nicht, er würde sich damit nur blamieren, denn seit einiger Zeit, vielleicht seit sie aus Kuba zurück war, sperrte sie fast bei jeder Gelegenheit hinter sich ab. Die haben wir hier nicht, solche Beben, rief er durch die Tür, also ein Opportunismus, nicht wahr, aber alle werden von Einsicht reden. Sie sagen Abschalten und denken nur an sich. Oder etwa nicht? Darf ich hereinkommen? Und woran denkst du , darf ich das wissen?
    IN der Liebe denkt man an den anderen, den, der man selbst nicht ist. Also ist man als Liebender oder Liebende dort, wo man nicht denkt, sondern nur liebt, und denkt dafür in einer Badewanne umso besser – Zu mir hereinkommen und auch noch wissen, woran ich denke: nein, darfst du nicht, rief Vila, wir sehen uns morgen! Ihr Gutenachtwort, und danach konnte sie weiter denken, an die Kompliziertheit des Liebens und einen von ihr inmitten des Schaums variierten Satz, den Renz vor vielen Jahren in seiner ersten Frankfurtbleibe zwischen den Vulvabildern an die Wand geschrieben hatte, Ich denke da, wo ich nicht bin, also bin ich da, wo ich nicht denke, J. Lacan. Das J hieß Jacques, ein Pariser Psycho-Ass, mit dem alten Freud über Kreuz, mehr hatte sie damals nicht gewusst, mehr war auch nicht nötig, um sich den Satz zu merken.
    Und was, wenn sie an Bühl dachte, wo war sie dann, noch ganz in der Wanne oder schon halb bei ihm? Wenn sie seine Stimme im Ohr hatte, seinen Geruch in der Nase, die Art von Zärtlichkeit vermisste, die keinen Unterschied zwischen jung und alt macht, als er die wehen Füße seiner Kinderfrau massiert hatte oder ihr den verspannten Nacken, das Kreuz, die Kniekehlen; und wo war sie, wenn sie ihn Momente lang vor sich sah, als etwas zeitlos Schönes, das sie in Gedanken verführte, komm zu mir, komm – andere singen in der Badewanne, sie nicht. Und nach dem Bad gleich das Bett, sie machte auch gleich das Licht aus, fast ein Glücksgefühl, wieder im eigenen Bett zu liegen nach drei Nächten in einem Kölner Hotel, Mercure, obwohl ihre Arbeit schon getan war nach einem Tag. Aber sie wollte Renz nicht sehen, wenigstens drei Abende nicht, oder ehrlicher gedacht: Sie wollte ihn nicht telefonieren hören, das Mitfühlende, Besorgte in seiner Stimme, eine unwürdige Verknotung in ihr. Sie war eifersüchtig, und sie lehnte sich ab in ihrer Eifersucht und hasste Renz, der sie so weit gebracht hatte, und das nicht mit einer vor Leben strotzenden Jüngeren, sondern einer, die schon ihr Leben aushauchte und ihn in eine Art Duett des Hauchens zog, am Telefon nur flüsternd. Marlies Mattrainer – ein Name, mit dem sie am anderen Morgen und auch den Morgenden danach in den Tag ging wie mit einem schlechten Traum, und es gelang ihr auch nicht, dagegenzuhalten, mit Bühl oder Kristian Bühl oder nur mit Kristian, dem Namen, der ihr immer noch fremd war, das Fremdeste an ihm. Marlies war jetzt Renz’ eigentliches Herz, das ihn in Atem hielt; mit seinem eigenen konnte er kaum mehr arbeiten, er tat in ihren Augen nur so, schrieb Ideen auf Zettel und pinnte sie an die Wand oder kümmerte sich um die Steuer. Ansonsten die Telefonate in seinem Zimmer, die Tür oft nur angelehnt, als sollte sie mithören: wie schwer es ihm fiel, nach München zu fahren, wie sehr er es wollte und zugleich fürchtete. Und wenn sie oben bei Elfi und Lutz waren – natürlich lief das alles weiter, die Dinge im Haus oder mit den anderen Freunden –, wenn sie dort am Tisch saßen, kamen schon beim Salat seine Fragen zu neuen Krebstherapien an die beiden, zu möglichen Wundern. Renz betrog sie gar nicht als Mann, er betrog sie als veränderter Mensch, sie ihn dagegen als eine andere, veränderte Frau, aber damit verschonte sie ihn: nicht die kleinste Andeutung ihres Zustands, nicht der geringste Hinweis auf den eher unheiligen Wintermieter – gar keine Großmut ihrerseits, eher eine Schwäche, ein Wall um die Sehnsucht. Im Grunde liebte sie es auch, Bühl zu vermissen, sein Gesicht über ihrem, seinen Aufruhr in ihr, wie ein Ja zu dem eigenen Aufruhr, ja, so soll es sein, so und nicht anders. An den langen Nachmittagen in dem Kölner Hotel hatte sie das Pay-TV laufen lassen, ihr erster Porno seit der frühen Zeit mit Renz, als sie manchmal nachts durchs Bahnhofsviertel gezogen waren, sich zu zweit in eine Videokabine gemogelt hatten; sie lag auf einem

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