Liebe in groben Zügen
in Japan, die kein Zuhause mehr haben, weil es verstrahlt ist, und jetzt in Hallen leben wie eine einzige große Familie. Ich hatte eine ganz kleine Familie mit meiner Sendung, Redakteur, Kamera, Ton, Visagist und zwei Assis. Dein früherer Freund kommt ins Fernsehen, wusstest du das? Er ist im April bei Open End, die Schwätzerei mit Carmen Streeler, trotzdem schalten alle ein. Und wie war es in Assisi, kommst du weiter, was wird das überhaupt für ein Buch? Geht es da auch um Liebe, auch um Begehren, oder hatte dein Franziskus keinen Schwanz? Er hatte beides, sage ich dir, Herzblut und Lust, und dafür musst du ein einfaches Wort finden, versprichst du mir das? Vier, fünf Fragen auf einmal, und von Bühl nur ein Ja zu allem, eins zu ihrem ganzen Durcheinander, von seinen Dingen Menschenlichtjahre entfernt, und doch schien es für ihn normal zu sein – sie wusste es nicht genau. Sie wusste nach dem Auflegen nur, irgendwann müsste sie mit Renz reden, nicht heute, nicht morgen, vielleicht nicht einmal im Sommer, aber bevor er nicht mehr die Kraft hätte, wirklich zuzuhören. Sie zog sich an und ging einkaufen, ein Stück Alltag, das ihr guttat. Und auch das Kochen mit Renz am Abend und das Fernsehen mit ihm taten gut, eine Fukushima-Runde bei Open End: das natürlich sein Ende hatte wie jede Sendung, aber ein Ende, das sich nach hinten verschieben ließ, Novum im starren Programmschema, nur nicht so weit verschieben wie der Tag, an dem sie mit Renz reden müsste, weil ja in dem Fall nach hinten alles offen war, gewissermaßen ein leerer, programmloser Raum, solange Kristian Bühl ihre Privatsache blieb; einziger, letzter Programmpunkt nur die Gebrechen, wer pflegt wen, und der Tod als Sendeschluss, leider nicht für beide zugleich. Der Rest ein Grauen, ihr Grauen.
Und darüber hätte sie gern mit Renz geredet nach der Katastrophenrunde bis in die Nacht, nur ging er dann gleich ins Bett. Und auch am nächsten Abend noch der Impuls, das Unausweichliche anzusprechen, als sie aus dem Sender kam, mit einem Termin in Mailand, um ihren italienischen Kandidaten zu treffen, und Renz in der Wanne lag, in die sie selbst gern wollte; und ebenso in den Tagen darauf, wenn sie nach dem Essen noch mit ihm in der Küche saß, den Wein trank, den er ihr eingeschenkt hatte, aus dem einzigen Grund, dass es noch zu früh war, ins Bett zu gehen. Nur verhielt sie sich jedes Mal wie ein Kind, das beim Zahnarzt den Mund zupresst, während Renz über sein neues Vorhaben sprach, die Figuren und die Handlung, um ihre Ansicht zu hören; und die sagte sie offen und war mit ihm sogar einer Meinung Abend für Abend, eine kleine Idylle. Erst an dem Tag, als sie Kilian-Siedenburg zum Essen erwarteten, eine Art Ersatzstreit über die Menge der Zutaten für die Etruskische Sugo bei drei Personen, bis es an der Wohnungstür klingelte.
DER Gast – Kaschmirjacke, Feincordhosen und als Einstand drei Flaschen Gavi di Gavi plus Blumen für Vila – kam gleich nach dem Begrüßungsschluck, ein kalter Franciacorte, auf das Internat und Bücher, die er für Geld hätte lesen sollen, um seinen Schriftstellervater zu beglücken, aber an Bühl weitergereicht habe: Der sie alle las, bis es ihn verrückt machte! Kilian-Siedenburg stand in der offenen Küchentür, ein Mann wie von einem anderen, exklusiveren Planeten; Vila versuchte noch, irgendetwas von Bühl an ihm zu entdecken, eine alte Abfärbung aus der Freundschaft – kurze Blicke beim Arrangieren der Blumen, Orchideen –, während Renz schwarze Oliven entkernte, eine Arbeit mit roter Schürze, spielend feierlich ausgeführt wie von einem verstoßenen Kirchenmann. Ein früh Verwirrter also, unser Wintermieter, ja? Renz sah zuerst den Gast an, dann sah er zu Vila, und von ihr nur ein Achselzucken; sie trug ein hochgeschlossenes Kleid, schulterfrei und eng um die Hüften, aber etwas mehr als knielang, ein Sieh-mich-an-und-denk-dir-dein-Teil-Kleid von Marc Jacobs.
Kilian-Siedenburg stellte sein Glas ab. Verwirrt, nein, eher besessen und insofern schwierig. Aber ich hätte ihn gern im Boot, was Aarlingen angeht, Sie haben doch Kontakt zu ihm. Es gibt Dinge zwischen uns, die muss man klären, vielleicht hat er davon erzählt, hat er? Mehr an die Blumenempfängerin ging das als an den Koch, aber Vila gab die Frage weiter, Hat er?, und Renz kam auf den Münchner Abend in der Bar des Vier Jahreszeiten, interessant, aber nichts Intimes, und sprang dann zu Bühls Auftritt in den Mitternachtstipps – als meine
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