Liebe in groben Zügen
Leben hier betrifft, macht euch keine Sorgen. Es ist nur elend heiß am Rio Xingu, und das Bier schmeckt nach Seife, Katrin. Ende der Mail. Was soll man davon halten?
Unsere Tochter weiß viel, aber es hilft ihr nichts, das halte ich davon. Könntest du den Vorhang wieder schließen? Vila hob einen Arm über die Augen, und Renz stand auf und schloss den Vorhang und trat dann noch einmal ans Bett, um die Decke zu richten und ihr Wasserglas aufzufüllen; sie konnte sich auf ihn verlassen, wenn es ihr schlechtging nach langen Nächten, Renz kannte ihre Kinderwünsche, massierte sie, las ihr vor, sorgte für Eis, Tabletten und Zäpfchen, für Stille und Dunkelheit und kam am Abend mit einer stärkenden Hühnerbrühe und irgendeiner Neuigkeit, die sie über den verkaterten Tag hinausschauen ließ. Nur an dem Tag hatte er Eiswürfel, Tabletten und Brühe übersprungen und war gleich mit der Mail gekommen, nicht die einzige Neuigkeit, er legte noch etwas nach: dass er Bühls früheren Freund zu einem Abendessen eingeladen habe, schon in Berlin. Und Kilian-Siedenburg hat gerade zugesagt für nächste Woche. Ich mache meine Etruskischen Nudeln, er bringt den Wein mit. In Ordnung?
Vila nahm den Ausdruck an sich, sie wollte alles noch einmal selbst lesen, vielleicht war es doch ein Brief, versteckt in dem Thesenpapier. Es sind unsere Nudeln, nicht deine, sagte sie. Und sollte unser Mieter nicht wissen, dass wir seinen alten Internatsfreund hier bewirten – warum überhaupt?
Warum? Renz ging zur Tür. Damit ich weiterkomme.
Und wohin? Sie rief ihm das nach, als er schon fast aus dem Zimmer war, er hob als Antwort nur eine Hand und ließ sie im Weggehen fallen, dann zog er die klemmende Tür so rücksichtsvoll leise zu, als würde er an seine Kranke denken, und sie drehte sich zur Wand, den Thesenbrief unter der Decke – auch ihre Schadowstraße war ein Rio Xingu, wo Paare stille Plätzchen suchten, jeder von beiden sein eigenes.
Ein Dämmertag mit Paracetamol und später doch noch Eiswürfeln im Küchentuch und einer weiteren Massage, durchaus liebevoll, und sogar der Hühnerbrühe am Abend, gefolgt von einer Dämmernacht mit Dämmergedanken, als würde eine andere, vernünftige Vila sie an die Hand nehmen, komm, lass uns schauen, was möglich ist, lass uns nachdenken, Fragen stellen. Bewegt sie sich vielleicht schon außerhalb jeder Gemeinschaft, wären ihre Freunde und Bekannten sprachlos, wenn sie alles wüssten über sie und Bühl? Und gibt es wirklich kein einfaches Wort für die Verbindung von Sex und Romantik, nichts aus dem Volksmund? Und ahnt Katrin aus der Ferne etwas von ihrer sich auflösenden Mutter und hat die Arme vorsorglich vor dem Großmuttermakel bewahrt? Oder ist sie nur eine Doktorandin, der es zu gut geht, die sich ihrer abwegigen Forschung im Amazonasdelta widmen kann, weil die Eltern und irgendeine Stiftung dafür aufkommen?
Vila hatte das Thesenpapier, das doch kein Brief war oder ein gänzlich versteckter, in der Nacht noch zweimal gelesen, und am nächsten Tag – endlich ohne Kopfweh und auch ohne Renz, der sich mit einer ZDF-Redakteurin traf, ein Missbrauchsmittagessen – las sie es ein drittes Mal und sah jetzt keine Ahnungen mehr darin; das Ganze war nichts weiter als eine Koinzidenz: Sie liebte, und ihre Tochter forschte zu dem Thema bei irgendwelchen Indianern, eine Erklärung, mit der sie gut durch den Tag kam, zumal sie mit Bühl telefonierte, während sie die Wohnung für sich hatte. Er war zurück am See, dort blühten schon die Magnolien, hörte sie, ein kurzer Bericht zu Haus und Garten; dann kam sie an die Reihe und erwähnte den bevorstehenden Abend mit seinem Ex-Freund, was Bühl gar nicht störte, im Gegenteil, er sprach sogar wieder davon, dass man Cornelius, wie er ihn jetzt nannte, im Sommer nach Torri einladen sollte: der ideale Berater bei so einem Filmprojekt. Und du? Eine Frage, als hätte er plötzlich von hinten die Arme um sie gelegt. Ich? Ich vermisse dich, sagte sie, keine besondere Antwort, also schob sie noch etwas Besonderes oder für ihn Interessanteres hinterher: dass Renz’ Producerin, die bedauernswert kranke Frau Mattrainer, die er, Bühl, als Junge an einem Kärntner See geküsst hatte, an genau diesen See gefahren sei, wohl ein Abschiedsbesuch. Oder was denkst du, bist du noch da? Sie stand im Bad und sah sich telefonieren, ihr Lächeln auf sein Ja hin. Ich will dir etwas sagen, sagte sie, ich bin durcheinander. Ich wäre zum Beispiel gern bei den Leuten
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