Liebe in groben Zügen
erzählt, was drinsteht, dafür durfte er es behalten. Ich konnte mich also zu ihr setzen und glaubwürdig Gutes Buch sagen, und sie stieß die Zigarette aus, so flüchtig, dass es im Aschenbecher noch qualmte, ja ein Stück Papier in Flammen aufging und ich es löschen konnte, das war der Anfang. Denn vom Feuer kam ich zum Eis, auf das angeblich so großartige Kapitel über die gefrorene Themse, und am nächsten Abend trafen wir uns schon im alten Schumanns, der Rest ergab sich. Und mein Opferentschädigungsprojekt, kann das nicht in Ihrem Drehbuch eine Rolle spielen?
Kann es schon, sagte Renz, und Vila – sie war geräuschlos in den Raum gekommen und hatte die Münchenstory noch mitgehört – nahm sich das dritte Grappaglas: Nichts ergibt sich, man will es oder will es nicht. Sie wollten diese rauchende Studentin und umgekehrt wohl auch. Und Ihr alter Internatsfreund, der hatte das Nachsehen, wie war er als Junge? In der Zeit, als er sich in Ihre spätere Frau verliebt hat?
In dieser Zeit – Kilian-Siedenburg leerte sein Glas, Renz schenkte ihm nach – war er anders als alle. Bei der Klassenfahrt nach Rom führte er uns über den Campo dei Fiori und erzählte von Giordano Bruno, dass man den Scheiterhaufen prasseln hörte. In der Laterankirche küsste er den Boden, den schon die Fußsohlen seines Franz berührt hatten. Er kam aber auch in der Via Veneto auf Fellinis La Dolce Vita, als hätte er das süße Leben schon ausprobiert, obwohl er mit achtzehn noch nicht einmal geküsst hatte. Das kam erst kurz danach mit Marlies, Bühl erzählte mir immer wieder davon. Wie er vorher dauernd von Franz von Assisi erzählt hatte.
Mit achtzehn, sagte Renz. Also schon immer seltsam.
Ja, er schwärmte für alles Radikale. Für Märtyrer, für Heilige, für Leute, die ohne Sauerstoff Achttausender besteigen. Oder ein Leben lang auf Sex verzichten. Oder es mit allem treiben, was sich bewegt. Das hatte meinem Schriftstellervater imponiert, Was für ein Kopf, sagte er immer. Mein Vater war Hans-Georg Kilian, Sie müssen ihn nicht kennen, seinerzeit hielt man ihn für wichtig. Und eigentlich hätte er Kristian als Sohn haben müssen. Nur hatte er mich. Und Bühl einen Vater mit Vorhanggeschäft in der Provinz. Kristian hat sich ja auch immer gefragt, warum er ausgerechnet Kind seiner Eltern und nicht anderer Eltern zu einer anderen Zeit sei, warum er hier und jetzt in seinem Körper die Welt erlebe, das war sein Mysterium, schon mit fünfzehn.
Kilian-Siedenburg trank den Grappa und stellte das Glas danach sachte ab, sein Zeichen von Aufbruch – ich glaube, er hat mich mehr als gemocht oder unsere Freundschaft mehr als gemocht, eins seiner Talente, oder braucht es dazu keins? Er sah Vila an, als suchte er bei ihr nach dem Liebestalent, dann wandte er sich wieder an Renz: Ein gutes Drehbuch, dazu braucht es auch Talent, Talent und in dem Fall die Opferinfos, nur braucht das wiederum Zeit, bis diese Leute alles aus sich hervorgekramt haben. Und meine Dinge brauchen auch ihre Zeit, sagte er noch – Geld lockermachen ist wie Erinnerungen lockermachen, mühsamst! Sein Schlusswort, wippend auf den Schuhspitzen, wie um sich selbst abzufedern, den gewichtigen Kopf mit zurückfrisierter feuchtdunkler Haarflut und feiner Rundbrille; an der Tür dann noch ein Kompliment für Vila, sie sei geistreicher als im Fernsehen, schöner sowieso, und im Treppenhaus der Männerabschied, ein Hoffenwirdasbeste für Marlies beim Händedruck, und am Ende Renz noch mit der Behauptung, schon von Hans-Georg Kilian gehört zu haben, dieser schwierige Außenseiter, darauf vom Sohn düstere Zustimmung, entsetzlich schwierig, zuletzt ein Alptraum, und von Renz der wiederum erhellende Vorschlag, sich auf jeden Fall im Spätsommer an seinem See zu treffen. Die wunderbarste Zeit dort, sagte er.
Ein sentimentaler, ja hinter allen Worten, aller Höflichkeit fast obszöner Abend: dem zwischendurch ein Verfluchen der Liebe gutgetan hätte, auch ein paar Kraftworte, als es um Sex ging, und ein kleines Lästern über die Opfer – Vila war in der Küche, als Renz in die Wohnung zurückkam, sie suchte hinter den Kochbüchern nach Zigaretten, irgendwo lag immer ein vergessenes, absichtlich verstecktes Päckchen. Sie hatte das starke Verlangen zu rauchen, das nach einer sentimentalen Zigarette als paradoxem Gegenmittel zu dem Abend, und hinter Cucina Toscana und Harry’s Bar-Buch lag tatsächlich eine alte Schachtel Rothmans, Annes Rothmans, Anne, die letzte
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