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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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Geburtstag am Ende des Torri-Sommers, der achtundzwanzigste August oder das goethesche Datum, von Renz auf die übliche Art kommentiert. Es war schon eins, aber sie räumten noch auf, füllten die Spülmaschine, wischten das Fett aus dem Ofen, taten Folie über die Reste. Marlies wird sterben, sagte Renz beim Anstellen der Spülmaschine. Im April will sie noch einmal an einen See in Kärnten, wo sie als Kind oft war. Unser Mieter hatte sie dort kennengelernt, mailte mir Bühls Freund oder früherer Freund. Später lernte er sie dann kennen, wie das Leben so läuft. Und jetzt kommt er bald groß heraus, erfuhr ich, man hat ihn zu Open End eingeladen, eine Missbrauchsrunde. Da kann Marlies ihn dann bestaunen.
    Wenn deine Produzentin sich das antun will.
    Sie produziert nichts mehr, sagte Renz, nicht einmal Antikörper. Und dein Geburtstag, wer soll noch kommen, alle? Er schloss den Ofen, und sie tat die Reste in den Kühlschrank. Mir bleiben noch sieben Jahre, bis ich sechzig werde, ist das kein Grund zum Feiern? Sie machte das Küchenlicht aus und ging in ihr Zimmer, einen Schrei im Mund, oder bis wohin die Worte kommen, die man nicht ausrufen kann, ohne sich selbst zu treffen – verschwinde aus meinem Leben.
    VILA dachte an Renz’ Tod, ohne sich diesen Tod im Einzelnen vorzustellen, sie stellte sich nur vor, wie ihr eigenes Leben nach einem Verschwinden von Renz weitergehen könnte, ja vielleicht erst richtig in Schwung käme, so in Schwung, dass all die Jahre ohne rechten Schwung damit ausgeglichen würden – eine Halbschlafhoffnung, als sie am anderen Morgen mit Kopfweh vom Wein im Bett lag und vor sich hin seufzte, bis Renz endlich hereinkam, nur nicht mit schon aufgelöstem Aspirin und einem Küchentuch voll Eisstückchen als der bewährte Katersamariter, sondern mit einem Blatt in der Hand. Renz zog den Vorhang auf und hielt ihr einen Mailausdruck hin. Von Katrin, aber kein Brief, nichts Persönliches, soll ich vorlesen? Er setzte sich an ihr Bett, und natürlich sollte er vorlesen, das konnte er, vorlesen und ihr dabei gleich den Kopf massieren, das konnte er auch.
    Überschrift: Penisköcher und Romantik, ein Thesenpapier. Hörst du zu? Er drückte ihr Daumen und Zeigefinger an die Schläfen, sie summte ein Ja. Pass auf, sagte er, erstens: Bei Naturvölkern findet man auch das Phänomen Verliebtheit mit den bekannten Symptomen beschleunigte Atmung, Hyperaktivität, Schlafstörungen, Appetitmangel und der Neigung zum Schwachsinn. Die Unfähigkeit von Verliebten, an etwas anderes zu denken als an die geliebte Person, ist universell, wird aber nicht überall als gleich gefährlich erachtet und daher unterschiedlich bekämpft. Die Gefahrensicht kann so weit gehen wie bei den Makassar auf Sulawesi, sie betrachten Verliebtheit als Krankheit, die unbedingt zu heilen ist. Romantik gilt dort als pathologisch, Liebe ist vor allem Fürsorge und Mitleid, also Empathie; Sex hat nur entfernt damit zu tun, er wird so hingenommen wie das Verlangen nach Nahrung und Schlaf. Zweitens: Auch sexueller Drang ist universell, aber unter allen bekannten Kulturen, fast siebentausend, gibt es keine, die das Sexuelle nicht regelt, dazu ist es zu gefährlich, Klammer auf: Und die Suche nach einer promisken Kultur ist immer nur die Suche nach Bestätigung für das eigene Chaos, Klammer zu. Die Grundregeln lauten, ob in Sulawesi, Frankfurt am Main oder hier im Amazonasdelta: Wer darf wen heiraten? Wie viel Frauen oder Männer darf das Individuum haben? Wo lebt das neue Paar? Drittens: Sex ist keine Privatsache, die Romantik dagegen ja. Was aber, wenn Sex und Romantik eine Verbindung eingehen? In dem Fall wird die Gefühlslage subversiv, die Liebenden bewegen sich außerhalb jeder Gemeinschaft. In allen Sprachen fehlt dafür ein einfaches Wort, und die Musik muss einspringen: Musik als akustische Gestaltung unserer Schwäche befreit vom Denken; die Beduinen etwa singen Liebeslieder, aber bekennen sich nicht dazu. Viertens: Für innigen Sex gilt noch mehr als für puren Sex, dass niemand davon etwas sehen darf. Will hier von den Kamayurá ein Paar miteinander schlafen, sucht es sich einen stillen Platz im Wald. Auch und gerade Naturvölker haben ein Konzept der Scham und Intimität; der Penisköcher etwa ist Symbol und Verhüllung in einem, er zeigt etwas und versteckt es zugleich, im Grunde ein romantisches Detail. Fünftens: Jedes intime Leben ist wahr und darum wert, erforscht zu werden, das eigene Leben eingeschlossen. Und was mein

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