Liebe in groben Zügen
Scheißbett in einem Scheißzimmer und stellte sich Bühls Gesicht über ihrem vor, aber das Bild verlor sich, und sie sah nur das auf dem breiten Schirm, ein Hin und Her von Fleisch. Und dennoch blieb sie an etwas hängen, dem Ausdruck auf einer Stirn: wie seiner im letzten klaren Moment, gesammelt, bevor er sich verströmte in ihr, und so brachte sie es zu Ende, überraschend schnell. Danach ein Griff zum Telefon, sie rief ihn an, das erste Mal seit Unterried, und sie war nicht etwa entspannt, sie war gereizt, fast wütend, ein wütendes Fragen, was er überhaupt wollte von ihr, bloß diese Treffen gelegentlich, und warum er nicht mehr wollte, dass sie jetzt bei ihm sei, sie sich trenne von Renz, auch wenn es ein Kampf würde. Und er sagte nur, Liebe sei kein Projekt, online höchstens, offline nicht, und sie nannte ihn abgehoben, einen abgehobenen römischen Dichter ohne Kranz, der sich irgendwie ins Internetzeitalter gerettet hat, und erzählte ihm, was sie gerade getan hatte, allein auf einem miesen Hotelbett in kaum einer Minute und wie von selbst, sozusagen inkontinent in Sachen eigener Lust, für eine Frau wie sie erschreckend und nur aufzufangen mit dem Laufenlassen der Wörter dazu, ihrer Beichte. Und von Bühl eine knappe Absolution. Ich mag alles an dir, sagte er, also auch das.
Der Schreck über das Flutende in ihren Organen und ihrem Verstand, in allem, was einmal zuverlässig war und jetzt in Auflösung, steckte noch in ihr, als sie am Wochenende die Englers aus Mainz zu Gast hatten, das Mitbringsel ein von beiden verantwortetes Gebäck, an dem sie beim Begrüßungsglas sozusagen noch zusätzlich nagte, aber nicht nur sie, auch Renz nagte auf seine Weise, weil Marion schon bei der Übergabe des kleinen Geschenks gesagt hatte, sie, Vila, sehe verändert aus, einerseits ernster, andererseits jünger – für Renz wohl eine alarmierende Mischung. Als sie den Salat und das Brot aus der Küche holten, sah er sie zum ersten Mal an, als wüsste er etwas oder würde ihr zutrauen, hinter seinem Rücken zu lieben, wen, das war nicht der Punkt; der Punkt war, ob sie unabhängig von ihm etwas Großes erlebte. Ein feindseliger, aber auch ungläubiger Blick, also fragte sie ihn Was hast du?, und er sagte Gar nichts, ich wundere mich nur über dich, ist das verboten?, und dann tauchte schon Thomas Engler auf, mit einer Bildungsbemerkung zu Renz’ Filmbibliothek, und Renz war in seinem Element, und sie trug den Salat samt geröstetem Brot ins Esszimmer und war nicht in ihrem Element. Das lag irgendwo hinter Renz’ Rücken, von ihm richtig erahnt, und es brauchte nicht viel Bildung, für Glück reicht das Alphabet; erst wenn es platzt, in der Verzweiflung, stürzt man sich auf die schwierigen Bücher und Filme. Und nach dieser Küchenszene kein einfacher Abend, Renz nun sogar mit Bemerkungen über ihr Verändertsein, bis Marion Engler ihn stoppte – die Pastorin mit zu schönem Mund für eine Kanzel, wie Renz sie sah, sprach über Fukushima und die Folgen, eine gemäßigt linke Sicht, die sie mit ihrem Mann teilte wie ein geistiges Bett, und Renz nahm jetzt den Umweg über die Musik, er legte eine alte Peggy-Lee-Platte auf, seine Vertonung von Liebesernüchterung, und bei Is that all there is? kam er auf die Haltung der Sängerin, eher trauernd oder einfach ernüchtert? Wozu ist sie noch bereit? Renz wandte sich an Marion, die wandte sich an Thomas, eine Stafette, und bei ihr, Vila, war Schluss. Sie stand auf und trug die leere Salatschüssel in die Küche, inzwischen sicher, dass Renz etwas ahnte. Es war sein Kampflied. Und am liebsten hätte sie ihm und den beiden zugerufen, dass sie bereit sei, zu Fuß nach Assisi zu gehen für ihr Glück – Bühl war wieder dort, er hatte gemailt, ein paar Zeilen über Franz und Klara. Sie holte eine Lammkeule aus dem Ofen, nur von ihr zu verantworten, und der weitere Abend dann harmloser, bis Renz nach dem Essen einen Barolo öffnete und sie ihm in ein Wort fiel, das sie nicht hören wollte. Wenn einer sagt: Ich liebe diesen Wein – furchtbar, nicht wahr? Sie sah zu Marion, und die stieß mit ihr an, als seien sie von nun an gleichaltrig; und später, beim Dessert, tat ihr die Jüngere sogar wie eine ältere Schwester von dem Tiramisu auf und hielt dabei kurz ihre Hand, die Hand, mit der sie den Nachmittag im Kölner Hotel überstanden hatte, und sie gab diesen Moment der Sympathie für ihre Auflösung beim Abschied zurück: mit einer Einladung an die Englers zu ihrem
Weitere Kostenlose Bücher