Liebe in groben Zügen
Mit den besten Wünschen für Ihr Fernsehprojekt, das ich nach Kräften unterstützen werde, und Grüßen an Ihre Frau, die mir vorkommt, als hätte ich mit ihr die Schule besucht, Cornelius Kilian-Siedenburg.
Die Schule, sagte Vila, was er damit wohl meint? Sie drehte das Kleid auf dem Bügelbrett um, und Renz bat sie, es hochzuhalten, damit er es an ihr sehen könnte, und sie hielt es hoch, ein leichtes Baumwollkleid, dunkelblau mit kleinen Sternen, fast einer Milchstraße quer über die Brust. Für Mailand genau das Richtige, stellte Renz fest. Und er meint wohl, dass du in seinem Alter bist. Ein paar Jahre jünger als im Pass.
Zehn, sagte sie, mindestens zehn. Hast du heute schon telefoniert? Sie legte ihr Kleid wieder über das Brett und machte weiter, da war Renz schon aus dem Zimmer, und sie drängte sich an das warme Brett und spürte den Schubladenschlüssel in der Hose; der siebte Schöpfungstag, für sie hatte er stattgefunden, sie musste nur die letzten Worte von Bühls Mail vor sich hin sprechen. Und was davor kam, bei ihr im Büro kaum überflogen, las sie nach dem Bügeln noch einmal – es ging gar nicht um Franz und Klara, es ging um Klara und Franz.
Klara in San Damiano, sie ist sechsundzwanzig und erachtet alles als Kot, was in die Augen fällt. Nur fällt sie selbst den anderen in die Augen, mit ihren hohen Wangen, der blassen Haut, ihrem Gang. Franz hat sich oft abgewendet, wenn ihr Anblick zuviel wurde, und es hat sie getroffen, auch wenn es richtig war. Es ist nichts, das Schöne, hat sie ihm hinterhergerufen, weniger als ein Eselshaufen! Nur ist es in Wahrheit alles; sie will das gar nicht wissen, aber weiß es. Und ist auch nicht überrascht, als Franz ihr – sie waren auf dem Weg nach Siena – erzählt, er habe in seiner Fastenzeit, allein auf dem Monte Subasio, ihr Gesicht in einem Brunnen erblickt. Weil mein Bruder sich gesehnt hat, sagte sie, und er schob es auf den Hunger und ein paar überreife Trauben, die er gegessen hatte. Sie sind ängstlich, die Männer, und klammern sich wie Kinder an den starken Arm der Vernunft oder tun Schlimmeres. In Siena hatten die Leute gewitzelt über sie beide, seht, der Poverello und seine Adelsschwester, wie unzertrennlich sie sind, und Franz schickte sie darauf in den Wald, obwohl der Winter nahte, und sie rief Gott an: Wann werde ich ihn wiedersehen?, und Gott sagte: Im nächsten Sommer! Und da geschah Wunderbares, rings um sie blühten auf den Dolden der Wacholdersträucher die Rosen, und sie eilte Franz hinterher und brachte ihm eine Rose, daß er erschrak. Und sie blieben erneut zusammen, auch wenn Geflüster und Anspielungen nicht aufhörten. Eine gute Zeit, und sie dachte schon, er könnte sie jetzt ansehen ohne Angst, nichts würde ihm mehr in die wehen Augen springen: nicht sie sei schön, sondern ihr Bündnis mit Gott und allen Brüdern und Schwestern, darunter auch ihm, aber es war nicht so. Was sie als Kot erachtet, läßt Franz das Herz anschwellen, also ist er irgendwann aufgebrochen, wohin sie nicht folgen konnte, nach Ägypten. Sie weiß schon kaum mehr, wann, sie weiß nur, daß sie das Warten auf den Liebsten ihrer Brüder leid ist. Einen ganzen Winter und ein Frühjahr lang hat sie keine Nachricht von ihm erhalten, es hieß, er sei noch in Syrien, auf seinem Rückweg vom Nildelta, andere waren von dort nie zurückgekehrt. Die Angst um ihn, sie nimmt sie in jede Nacht mit, sie betet mit seinen Worten, ihre Knie auf hartem Stein, sie glaubt, ihn zu sehen, ja zu spüren: kein gutes Zeichen. Erst im letzten Monat hat sich eine der Schwestern in die Brombeeren geworfen, um den Kotleib zu strafen, Dornen gegen die Anmut, Schmerzen gegen die Wünsche, und sie wünscht sich Franz: daß er mit ihr am Tisch sitzt, sie ansieht, ihr zuhört, daß er ihr folgt, wie sie ihm gefolgt ist, versteht, was sie will, was sie sucht. Wenn es nach ihm ginge, sie wären wie Schaf und Bock im Garten von San Damiano, jeder in seinem Schatten, ein altes Paar, das nichts mehr erwartet. Er mag so sein, sie nicht. Es geht auf Ostern zu, es ist genug des Bangens, in der Nacht von Gethsemane beschließt sie zweierlei: Weiter zu fasten, über Ostern hinaus, so wird sie Franz’ Rückkehr von Gott erzwingen. Wenn Gott ihren Tod nicht will, muß er ihr den Bruder schicken, damit der seine Hand auf ihre Haut und Knochen legt, meine liebste Klara, sie soll wieder aufblühen. Und ihr zweiter Beschluß: selbst zu wandern, damit alles Stillhalten ein Ende habe. In
Weitere Kostenlose Bücher