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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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nicht eingehen musste, weil die nächste Nachricht schon alles hinfällig machte. Er war in die Gegenrichtung aufgebrochen, war in Triest: der Stadt von Joyce und Svevo, schrieb er, eine Station auf dem Weg an den Ossiacher See – Ich will sie noch einmal sehen, auch wenn sie den Jungen, der sie gerudert hat, kaum erkennen wird. Alle Töpfe im Garten stehen so, dass sie vom Sprinkler Wasser bekommen. Und der Sommer ist uns! Ein Ausrufezeichen, das seine Reise nicht besser machte und doch ein Stück ihres Glücksgemäldes war in den Tagen vor Mailand: das sie erkämpft hatte. Wilfingers Talkfavorit war noch der Ex-Häftling unter Polizeiaufsicht, da ginge es um Sex, und die Kosten nur eine Zugfahrt zweiter Klasse plus Aufwandsentschädigung, während ihr Italiener eingeflogen werden müsste, mit Übernachtung im Frankfurter Hof. Aber am Ende hatte sie die besseren Argumente – die Fahrt nach Mailand im Mietwagen, unter dem Preis von Flug und Taxi, die Nacht in einem Stadtrandhotel; und mit dem Mann, der in allen italienischen Sümpfen stocherte, die Vereinbarung, auch über Berlusconis Partys zu reden. Letzter Anstoß war allerdings eine Zugabe, die Einladung zu ihrem Fest für beide Wilfingers, zu Goethes Geburtstag an den See, den Goethe befahren hatte – ein Angebot, das man nicht ablehnen kann, wie es im berühmtesten aller Mafiafilme heißt: Wilfingers Kommentar, schon im Stehen vor dem Schreibtisch, die Arme verschränkt. Und wie ein Fortsetzen seiner Worte von ihr die Frage, warum für sie Schluss sein musste mit den Mitternachtstipps. Sagen Sie’s einfach, und die Sache hat sich.
    Aber so einfach ließ sich das nicht sagen, Wilfinger war ans Fenster getreten, er wollte sie nicht ansehen bei seinem Vortrag über jüngere Zuschauer, die auch jüngere Moderatorinnen verlangten, wo doch die Jüngeren nur von einem Kanal zum anderen hüpfen und dabei noch telefonieren und im Internet sind. Und es ist ja verrückt, erklärte er: Sie haben nun wirklich etwas Junges, Vila, Ihre Art, Ihre Bewegungen, aber es sind Zeichen, die wir gar nicht sehen, Dinge, die den Jungen auffallen, ihnen sagen: Die ist keine von uns. Können Sie das verstehen? Er löste sich vom Fenster und ging auf die Tür zu, noch immer die Arme verschränkt. Und dann warnte er sie vor den Autobahnringen um Mailand, die Hölle auf Erden, und sie musste sich noch eine Zusammenfassung ihrer neuen Tätigkeit als Kandidatentesterin anhören. Was kann man die Leute fragen, wann drehen sie durch? Wie viele Zuschauer bringen sie ohne Skandal, wie viele mit. Und können sie den Mund halten, wenn der Moderator es will, können sie auf Anhieb loslegen. Wie viel Zeit brauchen sie, ihr Leben zu schildern, wie lang für den besten Moment, wie lang für den schlimmsten. Und kann man sie ertragen, wenn sie weinen, kann man sie ertragen, wenn sie brillieren. Können sie lahme Mitgäste pushen, oder sieht jeder schlecht aus in ihrer Nähe. Will man mit ihnen schlafen, oder schläft man mit ihnen ein: darauf läuft ja alles hinaus. Und fahren Sie hier frühmorgens los – wie gesagt, rund um Mailand zur Stoßzeit die Hölle!
    Aber sie fuhr nicht morgens los, sie stieg sogar erst abends in einen 5er-BMW für Raucher, und kaum auf der Autobahn, rauchte sie auch schon eine ihrer alten würzigen Pall Malls, das erste gekaufte Päckchen seit Katrins Geburt. Ihr Plan: eine Nachtfahrt bis Mailand, dort tagsüber im Hotel schlafen, dann ihren Kandidaten treffen und sich später wieder ins Auto setzen, gar nicht erst die Einzelzimmernacht riskieren.
    Sie rauchte wie Männer, die mit den Händen arbeiten, das Bild von Zigarette und Mund nur unterbrechen, um Asche wegzuschnippen; Renz hatte sie vor der Abfahrt noch onkelhaft flüchtig geküsst, er wollte nach München, seine kleine Todkranke treffen, er glaubte wieder an ihre Heilung: schön für ihn oder tragisch. Und sie, sie glaubte mit Zigarette im Mund an ihren Herzkrebs – der nicht tödlich war und einen trotzdem auffraß. Liebessehnsucht, die Krankheit, die man selbst engen Freunden verschweigt, für die es keine mildernden Umstände gibt, auch kein aus dem Lateinischen abgeleitetes Wort, ein Krebs mit unsichtbaren Metastasen: in Augen, die einen Blick suchen, Händen, die zwei andere Hände vermissen, sich nur am Lenkrad halten. Sie fuhr und fuhr, Mannheim, Karlsruhe, Freiburg, die Autobahn fast voller als bei Tag, sie kam nicht voran, wie sie wollte, und sprach dafür vor sich hin, was sie wollte, alles, was sie

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