Liebe in groben Zügen
fünfzig Tagesmärschen wird sie zu den Schwestern von Peschiera am Benacus gehen, nur begleitet von Vögeln – was er vermag, vermag sie auch.
Und kurz nach Ostern schon der Aufbruch, sie hat die Leitung von San Damiano der guten Agnes von Nago übertragen, für ein halbes Jahr. Wie befreit nimmt sie an einem klaren Aprilmorgen ihre Wanderung auf, bei sich einen Beutel getrockneter Pflaumen, die muß sie essen, damit die Beine sie tragen, und auch Orangensamen, den bringt sie den Schwestern mit. Sie trägt nicht mehr als die Wollkutte und an den Füßen Holzschuhe mit Riemen, und noch vor Monteriggioni brennen ihr die Füße, wie Franz die Augen brennen. Endlich versteht sie ihn, jeder Schritt ist wie auf Scherben, als würde er in die Sonne schauen, und trotzdem geht sie weiter, Salbeiblätter auf den Wunden. Sie hält sich abseits der Wege, damit keiner sie anspricht, die Nächte verbringt sie in Ställen wie er, sie trinkt Wasser aus Bächen und Pfützen, die Pflaumen drehen ihr den Magen um; wenn sie zu schwach wird, bittet sie in kleinen Orten um Brot, und bei Florenz, das sie umgeht, setzt ihr plötzlich ein Fieber zu. Sie taumelt durch Maisfelder oder schläft im Stroh, sie kaut Kräuter und kühlt ihren Puls mit Wasser. Einmal holt sie unter Bachgestein eine Forelle hervor, sie leckt den zarten Schleim auf dem Bauch ab, den zuckenden Leib fest in Händen, sie ruft nach Franz, was soll ich tun?, und er sagt ihr, auch der Körper sei ein Geschöpf, nur Gott dürfe ihn sterben lassen. Also erschlägt sie die Forelle und ißt ihr Fleisch. Das Fieber läßt nach, aber auch ihre Kraft, und die Nächte auf dem Apennin sind noch kalt. Aber Gott schickt ihr einen Hirtenjungen, dem sie sich anschließt, er kann nicht sprechen, nur zu den Ziegen, dafür kann er Feuer machen, und sie sammelt Holz, genug, damit es sie beide die Nacht über wärmt. Tagsüber hilft sie ihm, die Herde voranzutreiben, und er erlaubt ihr, eine der Ziegen zu melken, die Milch zu trinken. Aber sie will gar nicht melken, auch wenn sie es kann – sobald der Junge fort ist, ein entlaufenes Tier sucht, saugt sie an den Zitzen. So geht es, bis sie die Kraft hat, allein weiterzuziehen. Und auf der Hälfte zwischen Ostern und Pfingsten erreicht sie Bologna, dort pflegen sie die Brüder einige Tage. Franz, heißt es, werde im Sommer in Bologna sein, um von dort nach Norden zu gehen. Sie weiß um seine Wege, sie weiß, daß er am Benacus haltmachen wird, trotz ihrer Schwäche bricht sie auf und geht durch die sumpfige Ebene; wenn sie sich in Wasserläufen sieht, erkennt sie sich kaum, in ihre Wangen paßt je ein Daumen. Sie hat jetzt trockene Feigen dabei, die behält der Magen, und als die Maisonne schon brennt, erreicht sie das Schwesternhaus bei Peschiera, dort gibt man ihr eine Kammer. Sie betet und dämmert, einmal am Tag nimmt sie Maisbrei an, drei Löffel. Den Schwestern gibt sie einen Auftrag: zu verbreiten, daß sie hier das Schicksal ihres aller Herrn Jesu teile, sich zu opfern. Franz wird davon hören, seine Ohren sind gut, und wenn es ihm die Vögel zutragen. Er wird kommen, und sie wird ihm ein Versprechen geben, zu essen, bis ihre Wangen rund sind, wenn er mit ihr einen Nachmittag am Mincio verbringt. Sie beide allein an dem Fluß, der den Benacus verläßt, ihr Dächlein über den Köpfen ein Eselskarren. Franz ist der einzige, der ihr Innerstes spürt, den Wunsch gesehen zu werden, weil er selbst ein Geheimnis hütet: die junge Witwe Jacoba aus Rom, die ihn umsorgen darf, davon hat sie gehört. Wie gleich sie sich doch sind, beide auch ein Erdenglück suchen, nur macht er davor die Augen zu: daß Glück auf Erden so mühsam erschaffen sein will wie ein Deckengemälde und man es nur mit erhobenem Kopf sieht. Soviel zu Klara mit sechsundzwanzig – ich denke an dich, sogar im Schlaf.
*
XIV
DAS Glück, so mühsam zu erschaffen wie ein Deckengemälde und nur mit erhobenem Kopf zu sehen – Bühl schrieb ihr jetzt täglich, jeden Abend die Zeilen, die wie von selbst ihren Kopf hoben; mal schrieb er über den See, seine wechselnden Farben, mal über die Leute im Ort, aber auch den Mann, der nach seiner Arbeit im Olivenhang wandert; erst am Ende ein Wort über sich, seine Mittagsstunden ohne ihren Mund.
Sie war dagegen schnell bei sich oder bei ihm und sich, es ging um die Mailandfahrt, natürlich ihr Vorschlag, sich dort zu treffen für eine Nacht oder zwei, je nachdem, und die Antwort: je nachdem, was?, eine Frage, auf die sie gar
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