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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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etwas Schönes und Ganzes heraus. Da wird es langsam Zeit. Sie fuhr noch immer durch den Gotthard, bei blendendem Gegenlicht und Getöse, und plötzlich, wie ein Ergebnis ihrer Konzentration, der Gedanke: Sie und Bühl haben all ihre Teile, statt zu puzzeln, zu einem irren Bild zusammengeschmissen, einem, in dem sie sich wiederfindet, obwohl sie Bühls Teile kaum kennt. Sie spürt nur etwas Wundes in ihnen, eine Egozentrik aus Mangel an Vertrauen, ganz anders als Renz’ lässiger Egoismus mit seiner Antenne für drohende Nachteile. Sie muss das Irre also vor ihm verbergen wie eine Krankheit, von der er nichts wissen darf, um nicht beunruhigt zu werden, den einzigen Tumor, mit dem man mitwächst, darin ihr geheimes Leben, gesammelt zu einer, wenn sie nicht aufpasst, nach außen strahlenden Wahrheit: dass sie endlich wieder liebt. Ein zweites Dasein unter der Oberfläche all ihrer Dinge mit Renz, wie ein heller Flussgrund, der das Wasser darüber zum Leuchten bringt. Renz kann es kaum übersehen, dieses Leuchten, aber wird nicht auf Bühl kommen, nur wenn sie sich selbst verrät. Irgendein Abend mit zu viel Wein, am Ende das Bett, und nichts funktioniert, was ist los, was fehlt dir? Und sie: Vielleicht einer wie Bühl! Und dann kommt eine Wolfsnacht, das Zerfleischen, aber zuletzt halten die Fasern gerade noch alles zusammen. Jede gemeinsame Flasche eine Faser, jede gemeinsame Steuererklärung, jeder Tag auf dem Boot, jede lange Autofahrt, ihre erste gleich bis Palermo, auch nachts. Und jedes Essen mit den Freunden, jeder Streit, wenn alle weg waren, jede Verzweiflungstat im Bett, auch lauter Fasern. Dazu kommen die Tage, die Nächte, als Katrin noch klein war, von ihr am Leben erhalten, gefüttert, gewaschen, gebettet, erzogen, so gut es ging. Renz war ja mehr ein Gelegenheitsvater: wenn die Kleine erst ausgehen kann, wird alles nachgeholt, ein ewiger Spruch. Einen Scheiß hat er nachgeholt, als sie fünfzehn war. Zeit blieb nur für eine neue Serienheldin, seine Dorfschullehrerin Zeisig, auch noch ihre Idee, dieser zündende Name Stella Zeisig. Die sie sich jeden Mittwochabend beim ersten Glas Wein in einem Fernseher auf der Küchenkommode ansah, während Renz mit keiner Wimper zuckte, ihre Dummheit in Kauf nahm – wer keine Ahnung hat, der ist dumm. Zwei ganze Jahre lang war sie dumm. Sechsundzwanzig Folgen, je dreizehn in jedem Winter, mittwochs vor der Tagesschau: die Idiotinvilastunde. Er sah seine Geliebte, sie sah die Zeisig. Die Hälfte der Folgen hatte Renz geschrieben, das mussten sie ansehen, die andere Hälfte kam von einem schreibenden Paar, den Stubenrauchs, da mussten sie wenigstens sagen können, dass es nichts taugte. Es taugte wirklich nicht viel, aber die Stubenrauchs waren zu beneiden. Nach der letzten Folge hatte die Heldin genug von Renz, und er ließ sich häuslich trösten, sie reisten noch einmal durch Marokko, Katrin gerade sechzehn, ein Bündel aus Spott, froh, dass sie weg waren. Ein Versöhnungstrip, sie machten es in jedem Hotel, neben dem Bett eine Wasserflasche, Sidi Harazim, und immer ein Ringen, bis sie kam, Arbeit im Grunde. Es war seine Versöhnung, nicht ihre. Und in Erfoud, am Rand der Wüste, hat sie es aus ihm herausgeprügelt, sein gescheitertes Liebesding mit der Serienfotze: ihr Erlösungswort in der Sache. Renz heulte, und sie heulte mit. Und jetzt hängt sie an ihm, weil ihre Zeit in ihm steckt, ihre Tränen. Und genauso seine Zeit in ihr. Er ist nicht der, nach dem sie sich sehnt, aber sie hängt an ihm, dem Falschen: ein Widerspruch, den sie aushalten muss. Also sagte sie sich inmitten des Tunnelgetöses, Renz sei vielleicht doch der Richtige oder wahre Einzige in ihrem Leben, ein Gedanke, der ihr die Luft nahm – es waren immer noch drei Kilometer, über ihr die Gebirgsmassen und in ihr das Bild, Renz in den Arm zu nehmen, ihn so liebzuhaben, wie er es will oder braucht, und wie es alle Menschen wollen und brauchen, ihn einfach nur zu mögen und all die Stempel, die er ihr aufgedrückt hat, seine unsichtbaren Siegel aus mehr als einem Vierteljahrhundert nicht als Fessel zu sehen, sondern als Rüstung. Die Rüstung Renz, die sie zusammenhält und schützt, selbst in der Innigkeit mit einem anderen, bei der einzigen positiven Katastrophe im Leben: wenn man liebt und einem nichts rettender erscheint, als sich fallenzulassen. Und im Grunde ist sie Renz dankbar, ohne ihn könnte sie sich gar nicht fallen- oder gehenlassen, er ist das Netz, das sie in Wirklichkeit rettet.

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