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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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sich in Wilfingers Büro verkniffen hatte oder auf das sie gar nicht gekommen war in seiner Gegenwart, aber jetzt kam. Warum war Schluss mit mir und den Mitternachtstipps, sagen Sie’s einfach. Aber er sagte nur Scheiße, und nicht einmal das richtig. Also, warum nicht: Scheiße, Sie sind zu alt, Vila, bald dreiundfünfzig, aber unsere Zuschauer um diese Nachtzeit, die sind dreißig und jünger. Und sehen nicht irgendwelche Zeichen oder Dinge, die sie weiterzappen lassen, sondern Ihre konkreten Fältchen, wenn Sie es genau wissen wollen, am Hals, um die Augen, am Brustansatz, wo’s zu den Titten geht, die Sie immer verstecken. Das ist wie Schmutz auf dem Schirm, wie Fussel auf einem sauberen Flatscreen. Das hätte er sagen können, und sie hätte ihn samt seiner Schreckensfrau und Hobbydesignerin nie zu ihrem Sommerfest eingeladen. Hat sie aber, obwohl alles so gemeint war, nur warum hat sie’s dann? Weil er sie an ihren Vertrag erinnert hat auf seiner Silvesterparty, Und wissen Sie: Ob Sie nun vor der Kamera sind oder dahinter, Sie sind es mit einem festen Vertrag! Sagt er so, meint Renz. Ein paar Neujahrsworte zu einer festen Freien. Oder freien Festen, auch nur Worte. Dann lieber frei sein, aber festgehalten. Sie konnte Wilfinger nicht mehr ausladen, nur ertragen. Vila, wie jung Sie wirken!, noch ein Silvesterknaller. Aber was sagt dem Dreißigjährigen dann bei ihrem Anblick, dass er weiterzappen soll? Ihr Mund wohl kaum, auf den hat Wilfinger ständig gestarrt. Auch nicht die Frisur, ihre Nachfolgerin geht zum selben Friseur. Bleibt neben den Schmutzfältchen nur der Blick, das muss es sein, das geheime Zeichen: Ich sehe dich, Kleiner, und du machst mich nicht an. So wie sie Wilfinger sieht, die geheime Not neben Friederike Wilfinger. Also starrt er in seinem Büro auf ihren Mund, und irgendetwas schreit in ihm auf. Weil er diesen Mund nie bekommen wird. Und sich nicht selbst einen blasen kann, er kann sich nicht einmal selbst küssen. Er kann sie nur auf ihren Vertrag hinweisen. Und ihr Tipps geben für den neuen Job. Und ihr die Tür aufhalten statt den Slip ausziehen. Sie nahm sich eine neue Zigarette und hörte jetzt Musik, ein Mahler-Abend im Classic Radio, Schweiz; noch immer ein Fahren und Fahren, Basel, Zürich, Altdorf, ohne Pause fuhr sie bis an die Alpen und hörte ein Konzert mit Gesang, erst unterbrochen im Gotthardtunnel für endlose siebzehn Kilometer. Auf der Gegenspur ein Lastzug nach dem anderen mit blendendem Licht, eine Lawine, die sie zermalmen würde auf eine falsche Bewegung hin. Konzentriere dich, Vila, ein Appell wie vor dem ersten Treffen mit Bühl im Café Dulce auf der Schweizer Straße, dem Schokoeckchen für die Nichtstuerfrauen dieser Gegend. Ausgerechnet dahin, wo sie selbst sonst nur vorbeilief, hatte sie ihn bestellt, weil es im Freien ein paar kindliche Tische gab, eine Kita für Erwachsene. Er kam in Flip-Flops, weiter Hose und grauem Hemd, die nassen Haare hinter die Ohren geschaufelt, er hatte gerade geduscht, das Hemd noch mit Wasserflecken. Sie wollen mich also in Ihrer Sendung, und was ist das für eine Sendung, ich besitze keinen Fernseher, oder wirft mich das aus dem Rennen? Und sie: Nein, im Gegenteil. Und dann erklärte sie ihm die Mitternachtstipps, da waren die berühmten ersten Sekunden längst vorbei, und sie fand ihn nur seltsam, als käme er aus einer anderen Zeit. Sie sprachen über den Ablauf des Drehs und die Fragen, die sie ihm stellen würde, und er erzählte, dass er über Franz von Assisi und die heilige Klara ein Buch schreiben wollte, und das Café Dulce war plötzlich Zentrum der Welt. Assisi, sagte sie, wie sich das trifft, mein Mann und ich hatten dort intensivste Tage. Und dann kam sie auf ihr Haus in Italien, an dem See, den schon Catull besungen habe, ein Haus, das im Winter frei sei, frei, um dort ungestört zu schreiben, und von dem versteckten Angebot wieder ein Sprung zu dem Dreh, was dabei alles schiefgehen könnte, und am Schluss der halben Stunde beruhigte er sie statt andersherum und beunruhigte sie zugleich, beides in einem Atemzug. Wir machen das schon, sagte er, mögen Sie Catull, kennen Sie seine Gedichte? Ich liebe sie! Als Abschied also schon die Worte, auf die viele ein Leben lang warten, auch wenn sie sich auf die Verse eines Toten bezogen, und damit wuchs die erste kleine, sich unkontrolliert ausbreitende Zelle in ihr, und nun fährt sie mit einem ganzen Wünscheklumpen nachts durch den Gotthardtunnel. Sie ist schwanger vor

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