Liebe in groben Zügen
Betreten der Insel in drei Sprachen verbietet – er ist da, wo sein Herz schneller schlägt. Vielleicht würde er Vila ohne Renz gar nicht wollen, wer kann das wissen? Er weiß nur, dass es Renz gibt. Und Vila gibt. Und ihn gibt. Geduckt durchquert er die Insel, ihr schmales, zum Land zeigendes Ende, einst das Geschenk an Franziskus, er soll dort ein kleines Refugium mit Garten errichtet haben, für Brüder und Schwestern, die mit sich und Gott allein sein wollten, aber davon findet sich nichts mehr. Es gibt nur Zypressen und Oleandersträucher, blassrote und weiße, und er steigt wieder in den See und schwimmt um die Inselspitze und von dort auf die Hotellichter zu. Schwimmen wie eh und je, nackt und allein: eine andere Form von Denken, die Strecke fast wie die zwischen Aarlingen und der Schweiz, mit fünfzehn, sechzehn im Sommer jede Woche bewältigt, hin und zurück. Konnte Franz schwimmen? Warum sollte er? Wer anstrebt, auf dem Wasser zu gehen, denkt nicht ans Schwimmenlernen. Und hat er geliebt? Wahrscheinlich, sonst wäre er kaum geflohen davor, hätte nicht Gazza die Wäscherin vor die liebste seiner Schwestern geschoben, ihr Magdgemüt vor Klaras Gläsernheit. Eine Magd hat ihn zum Mann gemacht, eine Magd soll ihn davor bewahren, wie eine Frau zu empfinden. Die Lichter von Gardone jetzt schon nah, und er krault das letzte Stück zum Steg des alten Hotels – Kleidung, Schuhe und Handtuch noch dort, wo er sie hingelegt hatte. Nun musste es schnell gehen, abtrocknen und anziehen, damit er gleich ins nächste Element wechseln konnte, in das der Buchstaben.
Das Schwesternhaus bei Peschiera, nachts, im Garten noch die Glut vom abendlichen Feuer, dazu die leise Stimme von Franz, Franz, der seinem Beichtvater Leo von Gazza der Wäscherin erzählt. Er ist schon vorangekommen mit seiner Geschichte einer Flucht vor Klaras Willen, Flucht auf die Landzunge San Vigilio im Benacus, nach einem Herbststurm dunkel vor Nässe. Im Uferkies die junge Wäscherin und vor ihr der, der hier spricht, sagt Franz zu seinem alten Bruder. Die künftige Schwester, sie kniet mit gebeugtem Kopf, ihr Haar fällt bis zum Boden. Und auch er kniet, hart auf den Kieseln, ein Büschel ihres Haars in der Hand, soviel, wie er zu halten vermag, warm zwischen den Fingern an dem kalten Morgen. Und noch vor dem ersten Schnitt mit einer Klinge, die sonst Kaninchen häutet, sein Plan, auf der Insel gegenüber eine Klause zu bauen – noch ein Fluchtort vor dem Willen unserer Schwester Klara. Dann der Schnitt, aber das Haar läßt sich nicht schneiden, er muß es durchtrennen, dicht an der Kopfhaut die Klinge wie ein Sägeblatt führen, so oft, bis das Büschel reißt, in seiner Hand liegt, immer noch warm. Er läßt es fallen, ein Kitzel auf den Füßen, und greift erneut in ihr Haar. Büschel auf Büschel fällt, während sie betet. Wo das Haar schon abgetrennt ist, schabt er mit der Klinge über die Reste und singt dazu, er zieht am Haar und trennt es ab, schabt die Stoppeln, wischt das Blut weg, er kann kaum aufhören, ein Schnitt noch, einer nur. Auf seinen Füßen, seinen Knien, den Armen, überall schwarzes Haar, ihr Schädel glänzend wie Innereien. Der kleine Bruder Franz segnet seine neue Schwester, sie hat alle Schmerzen ertragen, jetzt darf sie weinen, und er weint mit, die Tränen verbrennen seine Augen. Führ mich zum Wasser, sagt er, und dort wäscht er ihr das Blut ab, wieder und wieder, dann schickt er sie in ihren Ort, damit sie einen Fischer bittet, daß er den armen Mönch aus Assisi in seinem Kahn zur Insel vor Salò bringt, der Höchste werde es ihm lohnen. Und die neue Schwester begleitet mich, ruft er ihr nach und ist wieder allein auf der Landzunge. Er friert, zählt seine Gebete, zwölf bis zum Abend, vier in der Nacht. Und am Morgen kommt sie zurück, auf dem Wasser im Segelkahn eines Fischers. Die Überfahrt zieht sich hin, immer wieder dreht der Wind, der Fischer verflucht den Tag. Doch kaum auf der Insel, einem Stück Paradies auch im November, sind alle Flüche vergessen. Für die ersten Nächte dient das Haus des Biemino, Besitzer der Zypresseninsel, bis aus Gehölz eine Hütte gebaut ist, erst für drei und bald für vier. Ein Steinmetz aus dem Ort Manerba ist dazugestoßen, und bis zum Frühjahr ist die Klause errichtet, die neue Schwester kann einen Garten anlegen. Sie ist immer um den, der hier spricht, sagt Franz. Sie macht ihm einen Blätterhut gegen die gleißende Märzsonne, sie wäscht seine Augen, sie öffnet
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