Liebe in groben Zügen
der Nachmittag drückend, mit schleirigem Himmel, der See metallisch, eine Platte; im Garten nur das Zittern der Olivenblättchen und manchmal eine Zikade bis zur Erschöpfung. Die Terrasse verwaist, Renz in seinem Zimmer, die Läden geschlossen, und sie im Schatten der Bananen, ihrer großen Blätter wie aus lichtgrüner Haut, ein Halbschlaf im Slip, auf dem Bauch ein umgedrehtes Buch. He, sind hier alle tot? hatte Katrin als Kind an solchen Nachmittagen gerufen, ein Aufschrei aus der Hängematte, und jetzt kein Laut, bis gegen Abend das Telefon ging – Heide und Jörg!, ein renzscher Ruf in den Garten, und natürlich war es nur Heide, Jörg hatte noch nie angerufen, er stand höchstens dabei, Jörg im Hintergrund und Heide in der Leitung, ein Anruf aus Mallorca, sie wissen noch nicht, ob sie kommen können, sie wollen es versuchen. Es ist ein Sonntag, sagte Vila, ihr müsst euch nur einen Tag freischaufeln und den Flug heute noch buchen, heute! Sobald es um das Fest ging, wurde sie laut beim Telefonieren, als würde es ums Ganze gehen, wenigstens einmal im Jahr. Und dann lief sie mit dem Telefon ins Bad, eigentlich ein Anlauf, um von sich zu reden, der Krankheit, für die es kein Wort gibt. Heide, ich könnte so viel erzählen – das gelang ihr noch zu sagen, dann wusste sie nicht weiter, wie früher bei Moderationen aus dem Hand- oder Herzgelenk, wenn sich plötzlich ein Sprachloch aufgetan hatte, das im Grunde ein Vilaloch war, also kam sie auf ihr Fest zurück, ein freier Tag reiche und gleich den Flug buchen: die Litanei in eigener Sache, sie konnte es selbst nicht mehr hören und brach das Gespräch sachte ab, für sie auch das Ende des Abends.
Wer nicht kommt, der will nicht, bemerkte Renz mit der Verspätung eines ganzen Tages, nachdem sein Wintermieter und komischer Heiliger umbrische Reiseeindrücke mit besten Grüßen auch an Frau Vila gemailt hatte – wer nicht kommt, der will nicht, ein Fazit beim Öffnen einer Flasche Rotwein am nächsten Abend, einem Cà dei Frati, genau das Richtige während eines Gewitterregens. Unser Freund Bühl möchte in der zweiten Augusthälfte zu Fuß bis nach Rom, sagte er. Stell dir das vor, wandern in dieser Hitze, verrückt. Willst du Wein? Er nahm Vilas Glas und füllte es, er stieß seins daran, obwohl sie ihr Glas nicht hielt oder anhob, auch nicht heben wollte; sie wollte gar keinen Wein, sie wollte die Mail lesen, sehen, was Bühl alles fertigbrachte, Bühl, den sie nur kurz am Hafen getroffen hatte, um ihm die Gide-Tagebücher zu geben, zwei Bände, die Renz so schnell nicht vermissen würde, sie standen seitlich vom Kamin neben Faulkner – Katrin hatte, kaum im Gymnasium, einen Sommer lang Ordnung in die Bücher gebracht, grenzenlos frühreif. Und nun nahm sie doch das Glas an den Mund, darin ein Wein, den sie gar nicht vertrug, der höchstens ihre Sehnsucht in Watte packte, bis das Kopfweh kam. Und Katrin, sagte sie, ob die Ende August für eine Woche ihren Rio Xingu verlässt und herkommt? Wir zahlen den Flug, für irgendetwas muss das Seeding ja gut sein! Das Seeding, das war seine Seearztserie, Die Wunder von San Vigilio, ein Titel der Redaktion, für ihn nur die Seearztscheiße. Schreib ihr, schreib, wir buchen den Flug, ich weiß schon gar nicht mehr, wie sie aussieht! Renz ging ins Haus, aus seinem Zimmer halblaute Flüche, er verfluchte das Fernsehen, den Sender, die Redaktion, die Wunder, die nicht seine waren, und kehrte in langer Hose zurück, als käme noch Besuch, und er wollte die Beine nicht zeigen. Renz schämte sich, für seine Geldarbeit, seine Beine, sein Alter, er tat ihr plötzlich leid, wie sie sich leidtat. Ich bin krank, sagte sie, mehr zu sich, noch nackt auf ihrer Liege, als zu ihm in langer Hose, und doch ein Versuch, ihn zu erreichen, ihm wenigstens anzudeuten, dass sie nicht nur die war, die mit ihm abends Wein trank. Renz legte ihr eine Hand an die Wange, Fieber hast du keins. Und morgen lasse ich das Boot fertig machen, dann fahren wir hinaus, dann geht es dir besser.
Mir geht es nicht schlecht: ein Wort im Aufstehen, ich liebe nur, ihr Seufzer auf der Treppe ohne Geländer. Sie flüchtet in den Raum, den sie beide nutzen, auch wenn Renz dort arbeitet. Es gibt ein Sofa, einen Büchertisch, Bilder, die sie gemeinsam gekauft haben; die Sofakissen in den Farben Italiens, seiner alten Städte, das blasse Rot, blasse Gelb. Immer noch nackt, legt sie sich zwischen die Kissen. Jedes Buch auf dem Tisch, ein legendärer Titel, in diesem
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