Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
Vom Netzwerk:
wartet, um an der unbesetzten Rezeption vorbei in die Liftkabine zu schlüpfen und den ersten Stock zu erreichen, dort noch ein Flur und eine schmale, fast private Treppe, danach schon die Tür zu dem Eckzimmer: Sie ist das, die es kaum abwarten kann. Als junge Frau, Mitte zwanzig – ihr letzter noch renzloser Sommer –, war sie einmal in Rom einem amerikanischen Studenten auf sein Zimmer in einem billigen Hotel am Pantheon gefolgt, Albergo Abruzzi, angeblich in das Zimmer, in dem sich Sartre und die Beauvoir geliebt haben sollen, aber die beiden waren im August immer in einem anderen, besseren Hotel in der Nähe, das stand in den Tagebüchern der Beauvoir, damals Keimzelle ihrer Bettbibliothek, und geliebt hatten sie sich auch nicht, oder nicht so, wie es der Student, rotblond, mit zuverlässigen Unterarmen, Brian aus Sweetwater, Texas, unauslöschliche Wörter, ihr schilderte, und trotzdem oder gerade deshalb war sie ihm ins angebliche Liebeszimmer gefolgt, für einen ganzen Sonntagnachmittag im leeren glühenden Rom des August, auf dem Platz vor dem Pantheon kein Mensch, nur welke Blätter im heißen Luftzug. Und all das gab es nicht mehr, das Albergo Abruzzi, einen leeren römischen Platz oder irgendeinen Jungen aus Texas, der auch nur ahnte, wer Sartre und die Beauvoir waren. Nur sie gab es noch: sie, die mit Leib und Seele an jenem Nachmittag geliebt hatte, bis zum Gehtnichtmehr. Und es war das gleiche Strömen in den Beinen, das gleiche, wenn nicht selbe Zusammenlaufen im Schritt, in ihrer Kehle, im Mund, wie damals im stickigen Treppenhaus an der Hand des literarischen Studenten auf dem Weg in das falsche Sartre-Beauvoir-Zimmer, als sie die Stufen im Gardesana hinauflief, statt den Fahrstuhl zu nehmen, eine Etage, dann der Flur und über das private Treppchen ein Halbstockwerk, und die nur angelehnte Tür zum Gide- oder Bühl-Zimmer aufmachte, wo sie auch schon gepackt wurde, sein Gesicht über ihrem sah. Die meisten Gesichter sind ja von nahem erschreckend, wenn die Züge sich schon verzerren, aber seins war nur etwas fremd, wie das eines selten gesehenen Tiers, das einem immer wieder in seiner Fremdheit gefällt. Es gibt keine Verwandtschaft mit dem, was man begehrt, daran musste sie sich selbst erinnern. Mach schon, sagte sie, mach.
    Eine späte Vormittagsstunde, die Balkontür auf, von unten die Laute des Sommers, ein Bootsmotor, sein Gegurgel im Leerlauf, Gelächter an den Tischen vor dem Hotel, dazwischen Rufe über das Hafenbecken, Namen, Späße, Tagespläne – das Ohr nimmt alles auf, samt den eigenen Dingen, Atmen und Klatschen von Haut, dem Jetzt in ein Kissen oder gedämpft in die Hand. Kein Wort im Bett, reden erst, als sie schon wieder in dem Hauch von Kleid dastand, Wasserflecken über den Schenkeln, es ging um ihre Treffen – hier im Hotel besser nur jeden zweiten, dritten Tag, bliebe das Boot an der Boje, man schwimmt hin, geht unter die Persenning, auch wenn es dort zum Ersticken sei. Oder trifft sich oberhalb des Sees – Bühl erzählte von seiner Wanderung, auch der Kapelle in Campo. Er hielt ihre Hand, und sie hörte zu, Campo und die Kapelle kannte sie, früher ein Ziel mit Katrin und Kasper, sogar Renz war schon mitgelaufen. Ein guter Platz, sagte sie, aber wenn Leute kommen? Sie kämmte ihn mit den Fingern, dabei der Vorschlag, Renz eine Mail zu schicken. Du bist in Umbrien, auch den ganzen August über. Er kommt sonst noch auf die Idee, dich zu dem Fest einzuladen. Ich will nicht, dass er etwas merkt, ich will es einfach nicht, du verstehst das? Sie strich über die Wasserflecken, und Bühl nahm ihre Hand, ein fast schmerzhafter Griff, Wenn du wiederkommst, bring die Gide-Tagebücher mit. Die hat dein Mann doch sicher im Haus.
    Ja, die haben wir im Haus, sagte sie, leichte Betonung auf Wir, ihr Schlusswort für das erste Mal im Eckbalkonzimmer, und Bühl ließ sie los, er trat zurück und hielt ihr die Tür auf, den Kopf jetzt im Nacken. Im Flur kein Mensch, also lief sie wieder hinunter; die Rezeption unbesetzt um die Mittagszeit, aber vor dem Hotel genug Leute, um mit dem fleckigen Kleid unterzutauchen. Und auch in der Gasse viele Tagesgäste, per Schiff oder Auto gekommen: ein Strom, in dem sie mitschwamm, bis zur Marcelleria, die kurz vor eins noch auf war. Dort kaufte sie Kalbskoteletts beim traurig-künstlerischen Metzger, sie wollte am Abend nicht ausgehen, nicht noch einmal in den Ort. Sie wollte mit Renz auf der Terrasse Fleisch essen und Wein trinken, sonst nichts. Und

Weitere Kostenlose Bücher