Liebe in groben Zügen
ihm frische Melonen, schneidet das rote Fleisch, sie singt, wenn er es möchte, und wässert den Garten. Alles wächst, alles blüht, ein summender duftender Käfig, der Poverello weiß nicht, wie er je wieder wegkommt von der Insel. Jeden Tag reicht man ihm süßes Melonenfleisch, während die Sonne immer mehr brennt und auch die anderen Früchte im Garten reifen; während ein roter Mond über dem See hängt und die Sterne vom Himmel fallen und jeder Strauch den Zikaden gehört. Die Hitze ballt sich zu einem Unwetter, das morsche Zypressen knickt und den See erst grün, dann weiß färbt, eine tosende Nacht, und als der Benacus am Abend danach wieder glatt ist, weist er den früheren Fischer an, heimlich seinen Kahn zu holen. Er will mit der Nachtströmung nach San Vigilio, von dort sind es sechs Tagesmärsche bis nach Bologna zu liebsten Brüdern, wieder ein Fliehen, jetzt näher zu Klara. Doch als der Kahn bereit liegt, er einsteigen will, taucht seine Gärtnerinschwester in der Dunkelheit auf, grau wie die Nacht, und er stößt sie weg, indem er sie segnet, drückt ihr mit zwei Fingern gegen die Stirn. Mehr ist nicht zu sagen, Bruder Leo.
Eine im Ansatz scheinbar sanfte, in Wahrheit von vornherein gezielte Bewegung, Bühl machte mehrfach den Selbstversuch: zwei Fingerkuppen gegen die Stirn, so ruckartig, dass der Kopf ein Stück zurückfliegt – der erste Versuch noch in Gardone, der zweite bei Desenzano, ein dritter in Lazise, vor der Schlussetappe nach Torri, wo sein Koffer schon in dem Hotel am Hafen abgestellt war. Er machte sich auch Notizen zu der Fingerbewegung, ein paar Stichworte auf Vilas letzter Mail, die er am Empfang hatte ausdrucken lassen. Wie ewig es noch dauern würde, bis er zu Fuß um den See herum wäre, schrieb sie, und dabei war er noch keine zwei Wochen unterwegs. Sie würde die Stunden berechnen, und wenn seine Sachen erst auf dem Balkon hingen, die Minuten! Ein Ausrufezeichen, das etwas Erschreckendes hatte; trotzdem brach er am anderen Tag auf, ein schon sengender Julimorgen.
VILA und Renz, ihre Gluttage am See, im achtzehnten oder neunzehnten Sommer, sie zählen es nicht mehr. Renz in den Stunden, ehe die Sonne aufs Haus trifft, in seinem Zimmer, ein Vor-sich-hin-Schaffen an der Seearztserie, immer die Kulisse vor Augen, jeden Vormittag drei neue Szenen oder Bilder, etwa Kleiner Hafen von San Vigilio mit Riva-Boot und Patientin, Außen/Nacht, und wenn das getan ist, noch etwas Arbeit am Missbrauchsstoff, frühe Schulheimdinge, der Erziehertäter sieht den Jungs beim Duschen zu, später der ansehnlichste bei ihm im Büro, ein Gespräch über das Schöne, auch das Schöne, das man zusammen tun könnte – mehr ein Planen als ein Schreiben, bis es zu heiß wird im Haus, er sich im Pool abkühlt.
Und Vila vormittags unten im Ort, nur in einem Hauch von Kleid, kühl der Stoff auf der Haut. Sie geht durch die Hauptgasse, schon um zehn Uhr grell, wo die Sonne hinfällt, und dunstig im Schatten, ein Gang unter ihresgleichen, die Chefinnen der kleinen Schmuck- und Modeläden auf Campingstühlen vor ihren Türen oder beim Hin und Her auf Tacchi alti, klackend über die Gasse, klackend in den Laden und wieder ins Freie, in der Hand das Cellulare und eine Frauenzigarette; mit rau erregten Stimmen rufen sie sich Wörter zu, die man nicht kennen muss, um von ihnen angesteckt zu werden, raue Jubelrufe, während sie alles an Kleidung abstreifen, was möglich ist. Sie heben die Arme und zeigen rasierte Achseln, sie stellen die Beine zur Schau und bieten ihre Bäuche der Hitze dar, immer ein Tuch griffbereit, wenn die Greise aus dem Priesteraltenheim ihre Runde machen. Mit einer Wucht, wie Vila sie nur von hier kennt, ist in Torri der Hochsommer ausgebrochen; die Frauen vor den Läden winken ihr zu, Franca, Gianna, Paulina, sie kennt sie alle, nicht gut, nicht näher, aber gut genug, um sie spüren zu lassen, wie sie sich fühlt: ganz nah dem Glück, schon entzündet davon. Auch Franca, Gianna, Paulina und die anderen mit heiseren Stimmen und haarlosen Beinen, den dünnen Zigaretten zwischen den Fingern und ihren gelackten Nägeln, haben etwas Entzündetes – heraushören kann sie es, an einem trockenen Lachen, am Klingeln der Fußkettchen. Sie ist nicht allein, das hilft ihr, als sie zum Hafen kommt, dort mit dem Rücken zum See den Kopf hebt und über der Brüstung des Eckbalkons das Hemd hängen sieht, das sie auf dem Hausdach anhatte.
Und nun ist sie es doch, die hier allein auf die Sekunden
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