Liebe in groben Zügen
den fand auch Vila gut, sonst war wenig dran an dem Film, und er hatte ihn seinerzeit in den Himmel gelobt: Buñuels antibürgerliches Meisterwerk. Ein Blödsinn mit ein paar surrealen Einlagen gegen den Katholizismus, entstanden sechsundsechzig, würde er sagen – für Vila fiel ja alles Besondere immer in das wilde Jahr achtundsechzig, obwohl sie da noch Lesen und Schreiben lernte, während er schon die Berliner Bühnenbildnerin hatte. Ich denke, sechsundsechzig, sagte er, und Katrin verbesserte ihn, als sie die Mautstelle bei Affi erreichten, bald am See waren, Neunzehnhundertsechsundsechzig, Renz, du vergisst gern das Jahrhundert, aus dem du kommst! Katrin lachte über ihr festes Gesicht, er sah es im Spiegel, sie trug das Hemd, das sie oft beim Skypen von ihrer Flussschleife anhatte, im Stoff sicher das Aroma nahe der Mündung, wo der Salzkeil ins Delta reicht, in jeden Arm, der noch Lebensraum bietet und den Glauben einer jungen Ethnologin an ihr Tun bestärkt, bis auch das letzte Erforschenswerte vom Internet geschliffen wäre wie die Festungen der Inka durch die Konquistadoren. Und was macht die Arbeit, fragte er, aber Tochter und Mutter hatten schon wieder die Köpfe zusammengesteckt, als sei alles wie in den ersten Sommern, als Katrin noch manchmal Papa gesagt hatte, Papa, hast du mal etwas Geld, und auf keinen Fall Renz.
Er kam in Garda auf die Uferstraße, Freitagabend, das Ansturmwochenende auf den See begann, sie fuhren Kolonne durch den Ort und auch so weiter Richtung San Vigilio; der Regen hatte aufgehört, überall klappten die Verdecke zurück, schon kam auch die Sonne wie gerufen, und Katrin hielt den Kopf aus dem Fenster, ein Blick auf den See, an dem es für sie nichts zu erforschen gab und den sie doch aufnahm wie beim ersten Mal – Renz sah bei dem Stop and Go in den eigenen Innenspiegel: Katrin als Kind, die erste ihr bewusste Fahrt am See entlang mit ihm im Wagen, nur sie beide, und alles hatte sie aufgesaugt, jeden Blick, ein Tag in all den Jahren mit Katrin, der in ihm verankert war, ihr gemeinsamer Tag bis ans Ende der Zeit. Sie ist elf, seine Kleine mit ihrem neuen Hund, klein und verspielt wie Kasper, und sie gehört ihm allein an dem Tag, Vila hat noch in Frankfurt zu tun, er soll und darf mit Kati die erste Nacht in ihrem unbezahlten Haus verbringen, sie haben eine Matratze, zwei Decken und Kissen dabei. Das Haus hat noch keinen Anstrich, keine Läden, es steht nackt zwischen den alten Oliven, rundherum nur Schutt, kein Rasen, und der Pool eine Betonwanne, er ist verzweifelt, als sie nach einer Nachtfahrt morgens ankommen. Kati, wie er sie damals nennt, hat mit Kasper hinten im Auto geschlafen, seinem alten Volvo, er nimmt sie auf den Arm und geht mit ihr um das Hausding, für das er sich in Schulden gestürzt hat. Nichts ist schön, alles ist schrecklich, am Poolrand noch ein Telefonmast, überall leere Zementsäcke, nirgends blüht etwas, nicht einmal Oleander, und es regnet, Dauerregen Anfang Juli, er trägt den Schlamm ins Haus, sein Schritt hallt in den Räumen. Die Küche ist schon eingebaut, aber noch abgeklebt wegen der Maler, an allen Fenstern Etiketten, die will er gleich weghaben, nur gehen sie nicht weg wie die alten Mautplaketten am Wagen; wenigstens irgendetwas soll fertig und schön sein im Haus, aber nichts ist fertig und schön. Aus den Wänden ragen lose Kabel, es gibt noch keine Steckdosen, nur Strom, die Arbeiter haben unten eine Glühbirne an der Decke gelassen: die brennt, als sie hereinkommen, und es fließt auch Wasser, aber nur kaltes. Kati muss aufs Klo nach der Fahrt, in der Schüssel schwimmen Kippen, auf dem Deckel Zementstaub, und er putzt das Bad. Mit bloßen Händen wischt er alles ab, bis die Kleine ihn buchstäblich aus dem Dreck zieht, in den künftigen Wohnraum führt. Dort hocken sie sich auf die Fliesen vor einer Höhle in der Wand, wo der Kamin hinsoll, und ihm laufen die Tränen vor Müdigkeit und Enttäuschung. Er hat ein Paradies erwartet, keine Baustelle, und Kati begreift mit ihren elf Jahren, wie er zu retten wäre. Auf einmal stellt sie sich vor ihn hin in ihrem Sweatshirt mit dem Tigerkopf auf der Brust und sagt: Das wird schon, Papa – nie mehr danach kam dieses Wort so aus ihrem Mund, so ohne jeden Hintersinn. Er ist das Kind, nicht umgekehrt, sie die Tröstende. Und dann zieht sie ihn zum Wagen, sie holen die Matratze und die Decken und die Kissen heraus und schleppen alles in den oberen Stock und bauen sich in Vilas späterem
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