Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
Vom Netzwerk:
Havanna, an der Promenade der Verliebten, wo abends die Gischt hochspritzt, und alles kreischt – ich war dort auch, stell dir vor!
    DER Montagsmarkt, Gedränge auf dem Platz am Hafen, ganze Familien beim Probieren billiger Lederjacken, billiger Schuhe, die Stände aus Zeltplanen in verschossenen Farben, dazwischen Wäscheschnüre mit hängender Ware, Hemden, Pyjamas, Unterröcke, schwarz mit Spitzen oder knochenfarben, und immer wieder Frauen inmitten ihrer Waren, Zigarette im Mund, Telefönchen am Ohr – vom Balkon des Gide-Zimmers aus eher ein verschwiegenes als buntes Treiben, Geldscheine, die unter Tischen oder in Ausschnitten verschwinden, kurze heisere Rufe. Und eben war Vila noch vor einem der Stände mit Schuhen und Taschen, neben ihr eine junge Frau, etwa gleichgroß, nur sehniger, die Schultern trainiert, und dunkler vom Typ, ihre Tochter: jetzt allein vor dem Stand. Und dann auch schon das Zimmertelefon, damit hatte er gerechnet, ebenso mit hastigen Worten am anderen Ende, das ja ganz nah sein musste, Vila irgendwo zwischen den Wäscheständen, sie sagte etwas von morgen oder übermorgen, vielleicht, einer Stunde mit ihm noch vor dem Geburtstagswochenende, Versteh mich doch, tust du das? Ihre Stimme jetzt atemlos, ein atemloses Bitten, Werben, Vertrösten, und bevor er noch etwas antworten konnte, der Abbruch mitten in dem Namen, den sie fast nie gebrauchte, Kristian.
    Der eigene Name: die dünne unsichtbare Haut eines jeden, nicht lichtempfindlich, schallempfindlich. Er war Bühl, und er war Bühle, bei Heiding im Ruderhaus auch Krissi, und für Frauen, wenn es eng wurde, Kristian. Also verschiedene dünne Häute wie bei Franziskus, der erst Giovanni heißt, dann vom Vater mit neuem kirchlichen Segen in Francesco umbenannt wird, Der aus Frankreich, zum Vorteil des Geschäfts, und sich dann selbst Poverello nennt. Und der zweigeteilten Taufe war schon etwas Dichotomes vorausgegangen, am Tag von Giovannis oder Francescos Geburt hatte ein Alter um Almosen gebeten, üblich bei Geburten, nur ließ er sich nicht mit Brot abspeisen, er wollte das Neugeborene sehen. Und Pica, die Mutter, gab der Bitte nach, der Alte durfte das Kind sogar halten, Tränen sollen ihm gelaufen sein, und zum Dank eine Weissagung, am heutigen Tag seien in Assisi zwei Menschen geboren worden, einer von der besten Art und einer von der schlimmsten. Eine Geschichte, die Franz – es würde zu ihm passen – fast lebenslang für sich behält.
    Franz, halbblind auf seinem Lager im Valle Topino, sucht in der Nacht Klaras Hand, zum ersten Mal hat er die Geschichte von dem Alten erzählt. Er selbst hat sie von einer Magd, die bei der Geburt geholfen hatte, der Magd seiner Kindheit, immer da, wenn sonst niemand da war, und bevor sie starb, hat sie sich davon befreit, so wie er jetzt, aber nur wegen einer Frage: ob der Alte am Ende ein und denselben gemeint haben könnte. Also auch den, der als junger Mann in den Krieg gezogen ist, sein Schwert in weiche Hälse trieb – mich, der ich hier liege, getötet habe und geliebt wie ein Mann, zweimal das Fleisch geteilt, vor Haß und vor Verlangen. Bin ich dann auch dieser schlimmste Mensch, beides? Die letzten Worte nur noch ein Hauchen, Franz’ Stimme versagt, und Klara reicht ihm eine Schale mit Wasser, aber er kann nicht trinken, das Reden hat ihn zu sehr geschwächt. Beides, sagt sie, ja. Nur hast du auch das eigene Fleisch geteilt, nicht allein das deiner Feinde oder das andere, das dich gelockt hat. Du hast den schlimmsten Menschen von dir abgetrennt, auch wenn er damit noch wahr bleibt. Und du in meinem Fleisch – sie taucht zwei Finger in die Schale und streicht das Wasser an Franz’ trockenen Lippen ab – auch etwas, das immer wahr bleibt: schlimm oder nicht schlimm? Klara läßt die Hand auf dem Mund, noch ist genug Zeit für eine Antwort, sie kennt das, wenn der Tod naht, an so vielen Sterbelagern hat sie erlebt, wie alles Schwere, Leidende am Ende zurückwich, bis allein die Gesichter übrig waren, faltige Kinder, die zu ihr aufschauten, segne mich, Schwester. Franz hat noch alles Schwere, sein Gewicht, wie eingefallen er auch daliegt als graubärtiges Mönchlein – das ihre Hand jetzt beiseite schiebt, aber in seiner behält. Schlimm, flüstert er, schlimm war ein Traum letzte Nacht, er habe sie gepackt, sie geschüttelt, sie zu Boden gedrückt, und folglich sei er das noch immer, auch dieser mitgeborene ärgste Mensch. Und Klara greift in die Schale, sie spritzt ihm Wasser ins

Weitere Kostenlose Bücher