Liebe in groben Zügen
auch ein liebendes Tun: zwischen Leuten, die einander versprochen waren und im Letto matrimoniale schon ihre Ehe vollzogen. Sie ging die Straße Richtung Albisano hinauf und bog in den Hohlweg, wo die Zikaden wie im Hochsommer schrillten. Die Schritte fielen ihr schwer, auch das Atmen beim Anstieg, ihr Kleid klebte am Rücken, trotz des feinen Stoffs ein Jucken, als sei es Wolle, Klaras Gewand. Sie musste stehen bleiben, Luft holen, sich kratzen und Schweiß aus den Augen reiben – nichts Junges mehr haben, das alle gern sehen wollen, allmählich also übersehen werden und am Ende gar nicht mehr gesehen: das vollkommene Grauen, mehr ein Bild als ein Gedanke im Weitergehen. Und ein scharfes Bild, als sie Renz vom Tor aus den Rasen mähen sah, nur in alten Tennisshorts, Oberkörper und Gesicht sinnlos gebräunt, um sein Haar ein Schweißtuch mit Knoten. Renz war noch sichtbar als Mann, nicht so alt und milde abgetreten wie die Männer im Ort, wenn sie über sechzig waren, schon vormittags beim Wein saßen, aber er war auf dem Weg dorthin, auf einer Schräge. Die letzten Spuren von etwas Jungem perlten von ihm ab und von ihr die ersten Stückchen. Das Junge, es kullert einem davon wie Quecksilberkugeln, und läuft man ihm hinterher, nimmt der Verlust nur schneller zu, sie hatte das an ihrer Mutter gesehen, jede Kur, jede Kreuzfahrt führte nur weiter bergab. Das Grauen am Älterwerden lag gar nicht so sehr in der schrumpfenden Zukunft, es lag im Schwinden der Anmut, oder was kann man sonst zum Lieben anbieten? Und gegen Ende muss im anderen so viel davon sein, dass es reicht, damit der andere einem die Scheiße aufwischt, ohne innerlich wegzuschauen. Sie ging mit ihren Schuhen in der Hand in den Garten, ein Diebinnengang wie der im Hotel, aber Renz hörte nichts bei dem Rasenmäherlärm; sie ging hinter ihm vorbei ins Haus, ins Bad. Meine Anmut schwindet: ein wahres Wort, und alles andere war Gerede. Keine aus ihrem Umkreis sah das so klar wie sie, vielleicht noch Marion Engler, die es erreicht hatte, mit ihrem Mann im Gardesana zu wohnen, eine andere Form der Anmut – das schöne alte Hotel, die Sessel unter den Arkaden, der schwache Wind im Haar, so schwach, dass nur die Spitzen wippen. Sie sah Marion schon am späten Nachmittag dort sitzen, im Schoß ein Buch und in der Hand ein Glas Averna, auch wenn man dieses Ensemble nicht küssen konnte, nur fotografieren, das machte ihr Thomas. Wo kommst du jetzt her? Renz tauchte im Bad auf, sie hatte die Tür nur angelehnt, sein Gesicht war übersät mit Schweißperlen, wie der Schmuck eines alten Kriegers. Woher ich komme? Natürlich von ihm, rief sie, und er winkte ihr mit zwei Fingern, wie er es tat, wenn sie seiner Ansicht nach Witz bewies.
Und der, von dem Vila kam, ohne Witz, lag noch auf dem Bett, das Erstickungskissen unter dem Kopf – woran erinnert sich einer, der sich vergisst? Für Sekunden war ihm das passiert, wie Franz sich vergessen hatte, als er seine Brüder anfuhr: Ich kann noch immer ein Kind machen!, sich erinnernd, dass er auch ein Mann war, nicht nur eine Magd nach San Lorenzo oder in sonst einen Stall geführt hat. Und er? Da gab es immer schon Hände im Haar, vor jedem Mittagsschlaf, und Lippen an seinen Lippen, auch schon Fragen über Fragen, wo gehst du hin, woran denkst du, wie gefalle ich dir. Und bevor Vila auftauchte, nie eine wahrheitsgemäße Antwort, aber immer, bis auf die Kissensekunden, ein Sichzusammennehmen. Nur ruhige falsche Worte, nur sanfte falsche Gesten, dazu ein Lächeln, das weder falsch war noch echt, das einfach um seinen Mund existiert, für eine verheiratete Frau so anziehend wie für einen ledigen Lehrer, oder die Kursaalqueen, wenn ihr Mann auf Reisen war – an diese Queen Rita hat er sich erinnert, sein Bild von ihr wie Reste einer zerstörten Schönheit. Und genau darüber passend: Vila mit vier Buchstaben, davon zwei dieselben.
EIN wahres Wort (Woher ich komme? Natürlich von ihm!), das kann der Blitz sein, der einen trifft und das Leben ausleuchtet, die Koloskopie, die ans Licht bringt, dass der andere sein Glück auch jenseits von einem findet; es kann das Handgestrickte eines Paars auflösen, wie wahre Finanzzahlen das Gewebe der Welt – mit den Illusionen platzen die Kredite. Aber das wahre Wort ist auch die falsche Lässigkeit, mit der es überspielt wird, ein Winken mit zwei Fingern: Renz behielt diese Geste gleichsam bei, sie half ihm über seine Nächte – schon möglich, dass es in Vilas Leben etwas
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