Liebe in groben Zügen
Schritt leicht aufwehte, so fein war der Stoff, pfauenfarben wie das ufernahe Wasser. Und sie brauchte auch etwas länger als sonst, um ungesehen ins Hotel zu kommen, die Rezeption schräg zum Treppenaufgang war noch besetzt, als sie zu den Toiletten ging – eigentlich war alles ganz einfach, es waren die Toiletten, die zu den Tischen vor dem Gardesana gehörten, und ihre Tür lag gleich neben dem Aufgang, und die Rezeption war entweder belagert oder unbesetzt, und immer hatte sie eine Erklärung parat: für eine Freundin, die im nächsten Jahr in das Gide-Zimmer wollte, nur etwas gehbehindert sei, die schmale Treppe am Ende des Flurs zu testen; der Rest war mit Charme zu machen, ihrem TV-Charme, und trotzdem das Warten auf den günstigsten Augenblick, dann erst lief sie nach oben, in der Hand ihre Schuhe.
Eine Stunde, mehr hatten sie nicht, kaum die Zeit, alles zu tun, was nötig war, bis die Zeit am Ende kollabiert zu einem Glücksmoment von unerträglicher Dichte, ichliebejetzt. Und als es getan war, lagen sie auf der Seite und schauten in das Gesicht, das alles Eigene lebendiger macht; schließlich der dünne Einuhrglockenschlag, und Vila stand auf, eine Hand zwischen den Schenkeln. Sie lief ins Bad und wusch sich auf dem Bidet, und erst dabei ein Gedanke, der über die Stunde mit Bühl hinausreichte: dass sie anfing, Spuren zu beseitigen wie eine Diebin, sobald das Glück sie nicht mehr einschloss mit seiner Dichte, die Vila-Renz-Zeit wieder stärker war; sie wusch sich noch das Gesicht und ging zurück ins Zimmer, ein Handtuch vor der Stelle, die sie eben noch gezeigt hatte. Ende der Woche kommt unsere Tochter, sagte sie, als sei es ihre und seine Tochter, sie und Bühl die Eltern, wie ein Probesatz zu einem ganz anderen, illusorischen Leben. Renz und ich werden Katrin vom Flughafen abholen. Und nächste Woche kommen dann schon Gäste von uns, ein Ehepaar aus Mainz, sie wohnen auch hier im Hotel, das war nicht zu vermeiden. Ich weiß nicht, wann und wo wir uns dann noch sehen, weißt du es? Sie kämmte sich und sah dabei in die Fensterscheibe, sie sah, wie Bühl auf dem Bett seine Notizen sortierte, langsame Bewegungen, als würde er nur so tun und in Wahrheit nachdenken. Oder so tun, als würde er nachdenken, ja überhaupt nur so tun, bei allem. Und wirst du hier sein an dem Fest, wirst du uns zuschauen von oben, weißt du das? Unser Tisch ist genau unter dem Eckbalkon, schon seit meinem Fünfzigsten. Oder weißt du nur, wann ich komme und wann ich gehe und was dein Franz empfindet, wenn Klara ihn von seiner kratzigen Kutte befreit – wahrscheinlich bloß Gottes Abwesenheit! Sie trat zum Bett und fuhr durch Bühls Haar, wie sie früher vor Filmpremieren noch kurz über Renz’ Haar gestrichen hatte, im Grunde stolz auf einen unfrisierten Typen mit Notizblock und Zigarette, und Bühl schnappte ihre Hand, ein Griff, als würde er fallen und könnte er sich gerade noch festhalten.
Er zog sie aufs Bett, mehr ein Reißen, er warf sie auf den Rücken und nahm auch ihre andere Hand, schnell, wortlos; die eine Hand reichte ihm, ihre beiden zu halten, und mit der freien griff er sich eins der Kissen und drückte es ihr aufs Gesicht, kaum zwei, drei Atemzüge nach den letzten Worten, Gottes Abwesenheit. Ich weiß nur, dass etwas nicht stimmt, sagte er und nahm das Kissen wieder weg, ihr Mund schon offen zu einem Schrei, aber was hätte sie schreien sollen, Hilfe? Die Hilfe oder Rettung, das war er, das Kissen noch in der Hand, als sei es nur ein Aufschub, bevor er sie erstickte, um sie nicht länger mit Renz oder überhaupt anderen Menschen zu teilen. Willst du mich umbringen? Irgendwie kam ihr das über die Lippen, fast ruhig bei jagendem Herzen. Nein, sagte er, musst du nicht gehen? Er warf das Kissen beiseite und ließ ihre Hände los. Komm! Ein Wort, als wäre nichts gewesen, komm, und dabei half er ihr schon vom Bett, wieder mit schneller Bewegung, nach Art einer Hilfestellung beim Turnen, um zwischen Bett und Schrank noch einmal ihre Hand zu nehmen, die rechte, und sie zu küssen, weit entfernt von allem Gymnastischen. Dann brachte er sie – die er nicht erstickt hatte, im Gegenteil: die er an ihrem komplizierten Leben ließ, mit aller Luft, um an diesem Leben zu hängen – an die Tür. Geh jetzt.
Und sie ging die Treppen hinunter, bis zur Ecke vor dem Empfang, der unbesetzt war, also lief sie gleich ins Freie und weiter durch die mittagsstille Gasse. Die Fensterläden überall zu, hinter manchen sicher
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