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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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Gesicht und lacht, das Mädchenlachen aus der Nacht, in der er ihr zur Flucht verholfen hat, sie beide verkleidet, Narr und Närrin. Mein allerliebster Bruder, sagt sie, im Halbdunkel über ihn gebeugt, befühl nur deine Hände: Welcher Mann mit so kleinen Händen möchte im Traum nicht zupackend sein?
    *

XIX
    GOTT , wie schön ist das hier! Marion Engler oder die flüchtige Spur einer Müdigkeit, nicht in den Augen oder ihrer Haltung, im Erschöpftsein der Worte, Gott, wie schön ist es am Hafen von Torri, weil es so schön ist: eine Tautologie wie die wesensverdoppelnden Dinge, die zu ihr gehörten, im Schoß ein berühmter Roman, in der Hand ein Glas Averna, vor ihr auf dem Tisch ein Notizbuchklassiker plus Stift, das Ganze unter den Hotelarkaden, die typische Spätsommernachmittagsstimmung, fern im Dunst die Silhouette der Isola del Garda. Die Ex-Pastorin und jetzige Mediatorin lesend in einem Jeanshemd mit locker umgeschlagenen Ärmeln; einziger Schmuck eine Longines-Herrenuhr, die sie vor ihren Predigten in der Frankfurter Lukaskirche immer ausgezogen und auf die Kanzel gelegt hatte, um sie nach dem Segen mit eleganter Bewegung wieder anzuziehen – eine Art Minimal-Striptease, wie Renz, durch Marion Engler zum zeitweiligen Kirchgänger geworden, eines Sonntags zu Vila gesagt hatte.
    Renz saß mit am Tisch und auch Thomas Engler: der aber nur in Form einer Zeitung, die er vor sich hielt; zwei Lesende also, während Renz den Hoteleingang im Auge hatte. Vila war schon vor einiger Zeit dort verschwunden, sie wollte das Menü für den Festabend besprechen, Ich mache das, hatte sie gesagt, folglich lief er ihr nicht hinterher. Ein stures Warten, bis er sich einen Ruck gab und auf das Buch in Marion Englers Schoß zeigte, eine schlichte Ausgabe von Stendhals Rot und Schwarz, noch vor seinem Filmkritikerleben hatte er es gelesen. Etwas langatmig, sagte er, und sie machte ihm klar, warum die Geschichte von Julien Sorel nicht auf hundert Seiten passt, eine kleine Privatpredigt – ihre allzu privaten Predigten hatten sie mit der Landeskirche entzweit –, am Ende schlug sie das Buch sogar auf und las das Motto vor, das der Autor gewählt hatte, Die Wahrheit, die bittere Wahrheit! Danton. Und das in Kurzform für faule Leser? Sie deutete mit dem Roman eine Kopfnuss für Renz an, und der hatte Dante verstanden, nicht Danton. Dante war auf der Isola Lechi, wie die Insel dort drüben früher hieß, im Exil, sagte er, als Vila endlich aus dem Hotel kam, auf ihn zuging, Alles erledigt! Und jetzt? Warum fahren wir nicht auf den See? Ein Vorschlag im richtigen Moment, Heide und Jörg trafen gerade ein, doch nicht per Flugzeug gekommen, sondern im Auto von Barcelona, acht Stunden, eine Pause, für beide normal. Jörg holte dann mit Renz auch gleich das Boot von der Boje, und natürlich ging die Fahrt zur Insel im Dunst, nicht dabei Katrin, die saß an ihrer Arbeit über die Kamayurá-Indios. Dafür lag Heide auf dem Bug, der sonst Katrins Platz war – gestern noch Mallorca, heute schon Torri, und der See sofort mit einem Highlight, da nahm man für das lange Wochenende auch gern eine Pension in Kauf. Bis auf Marion und Thomas hatte Vila alle Gäste, auch die Wilfingers, in der Pension Speranza unterhalb des Hohlwegs einquartiert.
    Wahnsinn, ja Wahnsinn, rief Jörg – auch in der Sprachmüdigkeit aller Erstbesucher am See –, als sie an der schmalen Insel entlangfuhren, darauf ein Schloss im venezianischen Stil, an den Seiten wie gespickt mit Zypressen, ein Besitz, bei dem sich alle Neulinge fragten, wem er wohl gehöre und warum: für Renz Gelegenheit zu einem Vortrag, den Vila auswendig kannte. Sie lag neben Marion auf den hinteren Polstern, nicht im Badeanzug wie sonst, sondern in Hosen und T-Shirt, unter beidem nur ihre Haut, noch gespannt von einem Kurzbesuch im Eckbalkonzimmer. Renz stellte den Motor ab; sie waren in der Bucht der Neider, wo immer Boote im Flachen ankerten, mit Blick auf das private Paradies, der übliche Platz für seinen Vortrag über die Insel, und kaum war der Anker geworfen, fing Renz auch schon an, gleich mit einer Zahl, achthundertneunundsiebzig: die erste Erwähnung der Insel in einem Dekret Karlmanns, König von Bayern und Norditalien, es ging um ihre Schenkung an die Ordensbrüder von San Zeno. Ab elfhundertachtzig dann Teil des Lehngutes, das Friedrich Barbarossa Vorfahren des Biemino da Manerba gewährt hatte – Renz setzte sich auf den Bug, immer noch die Ankerkette in der Hand –, und um

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