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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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weißes Hemd mit schwarzer Weste; nur das Glas in der Hand passte nicht zum älteren Oberkellner. Und dann tauchte auch Vila auf, das Geburtstagskind in platingrauem Seidenkleid mit Ärmeln, dazu die falschen Veronaschuhe, in der Hand drei lange rote Rosen von Renz, eine für jedes Jahr über fünfzig. Sie hielt sie am pendelnden Arm, die Blüten nach unten, und trat auf den Ankömmling zu, eine Begrüßung mit Hallo, ohne Namen, und dabei schon sein Auswickeln des großen Blumenstraußes, erst eine Lage Papier, dann Zellophan, übrig blieb ein Orchideengebinde, als würde sie heiraten, eine späte Braut.
    Vila stieß einen Laut aus, ihre Würdigung für die Orchideen, der Kellner brachte eine Vase, während die Gästepaare mit ihren Drinks auf den Laut hin an die Tafel kamen, Elfi und Lutz, Heide und Jörg, die Wilfingers, die Englers, und am Ende Katrin, Katrin mit Vilas Gang aus dem Kreuz heraus und Renz’ ehedem dunklem Haar. Sie trug ein enges weißes Top, gut für die schönen Schultern, dazu weite flatternde Hosen und Sandalen, die sie in der Hand hielt; Wind war aufgekommen, nicht stark, nur stark genug, das Tischtuch an einer Seite über die Gedecke zu heben. Vila nahm Katrin am Arm, sie machte sie mit Kilian-Siedenburg, ihrem Tischnachbarn, bekannt, beide mit dem Gesicht zum Eckbalkon. Die Sitzordnung war ihre Sache, schon immer, sie selbst hatte den Platz am Tischkopf, halb schräg zum Balkon, ihr zur Seite Marion und Katrin, dann Fritz Wilfinger, gegenüber von Kilian-Siedenburg, damit sie über Missbrauch reden könnten. Und Renz am anderen Ende der Tafel mit dem Rücken zum Hotel, bei ihm Friederike Wilfinger und die Nachbarpaare, der ausgleichende Jörg neben Friederike, um ihre Designerphilosophie zu ertragen. Vila sammelte die Runde, sonst immer Sache von Renz, aber sie wollte den Abend gleich in die Hand nehmen und sagte etwas zu jedem, sogar zu dem Mitjubilar Goethe, als sei er anwesend, und am Schluss der kleinen Rede ein Anlauf für ein paar Worte zu sich selbst, jetzt eingerahmt von den Wilfingers, er mit einem Turniertänzerlachen und getöntem Haar, sie sehnig sportsüchtig und komplett gebräunt, beide auch um die Fünfzig und ihre Jugendlichkeit wie eine Entstellung, nur dass man erschrocken hinschauen musste, nicht wegschauen. Vila hatte sich ihre Worte genau überlegt – noch bin ich nicht die Frau, die man bewundert, weil man sie auf einfache Art nicht mehr lieben kann –, aber dann sagte sie: Ich bin jetzt dreiundfünfzig, wer dabei sein will, ist herzlich eingeladen, sofern er mit mir auch älter werden möchte, egal, wie jung er sich fühlt! Und damit hob sie ihr Glas, als schon die Vorspeisen auf den Tisch gestellt wurden, alles sehr ländlich, Weißspeck, Salami, Tiroler Schinken, dicke Bohnen, Zucchini und Auberginen, eingelegt, Parmesanstücke, kleine Bufalakugeln in ihrer Milch, dazu Olivenöl und Balsamico, frisches Brot, grobes Salz, der Wein in Karaffen. Und beim Trinken schließlich ihr Blick über den Glasrand zum Balkon, wie ein kurzer Blick nach dem Wetter, schon beunruhigt von nur einer kleinen Wolke.
    Die Frau, die man noch nicht bewundert – am Morgen kam Renz in ihr Zimmer, um mit einer Dreiundfünfzigjährigen zu schlafen, das waren seine Worte. Wir beiden Alten, sagte er, die Rosen in der Hand, und ihm fiel nicht einmal auf, dass sie sein altes Hemd trug. Lieb, aber ich bin zu kaputt: ihre Worte, ein fast wahrer Satz, und er gratulierte und überreichte seine drei Rosen, offenbar kaum enttäuscht. Dann verschieben wir’s auf den Sechzigsten, rief er ihr noch von der Treppe her zu, und sie tat, was sie seit Mädchenjahren nicht mehr getan hatte, aus verrücktem Sehnen ein Kopfkissen umarmen.
    Sie gab sich mit Essen beschäftigt, obwohl sie kaum etwas aß, mehr so tat, während Bühls früherer Freund und Wilfinger schon darüber sprachen, wie dokumentarisch ein Missbrauchszweiteiler sein sollte. Originalzeugen, O-Töne, reale Menschen wie bei den Weltkriegsdokus, die Opfer eines verschwiegenen Krieges zeigen, Wilfingers Konzept. Wozu sei er denn da, wenn nicht, solchen Leuten ein Gesicht zu geben: Herrgott, wozu mache ich Fernsehen? Er kam gar nicht mehr herunter von seinen arglosen Schweineansichten, sekundiert vom erklärten Vertreter der Opfer, wenn nicht selbst Opfer. Natürlich hat es Versuche gegeben, aber nicht meine Welt, diese Dinge, zurückgeblieben ist nur der Schock: O-Ton Kilian-Siedenburg, und Renz zeigte sich vom Tischende aus beeindruckt. Die

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