Liebe in groben Zügen
zwölfhundertnochwas kam Franz von Assisi als Gast von Biemino auf die Insel. Er veranlasste den Bau einer Klause, aus der später eine Theologieschule wurde, mit langer Blütezeit, Dante war dort im Exil. Dante! Renz sah zu Marion – immer noch seine Dantonverwechslung –, und von ihr und Dante ein Sprung zu Napoleon: Der ließ die Klosterschule dichtmachen, und im Zuge seiner Reformen wurde die Insel erst Staatsbesitz, dann privatisiert. Eine Zeitlang gaben sich die Besitzer die Klinke in die Hand, bis wieder Ruhe in die Geschichte kam, das kleine Paradies ging an den Duca de Ferrari aus Genua. Und der ließ mit seiner Frau, der russischen Erzherzogin, einen Park anlegen und gab um die vorige Jahrhundertwende das Schloss in Auftrag, schon damals nicht billig. Das Ganze fiel dann an das einzige Kind der beiden, Anna Maria, die den Prinzen Scipione Borghese heiratete, daraus entsprang ebenfalls eine Tochter, Livia, die heiratete den Grafen Cavazza. Und erst aus dieser Ehe ging ein Sohn hervor, mit der Folge, dass den Cavazzas noch immer die Isola del Garda gehört – Leute, die wissen, was sie haben, und wissen, wer sie sind. Will jemand schwimmen?
Immer das Schlusswort des Vortrags, will jemand schwimmen, Vila hätte darauf wetten können, und beide Gästepaare hüpften wie Kinder ins Wasser, nach ihnen Renz mit Kopfsprung. Im Boot also nur noch sie: die Bühl nicht von sich abwaschen wollte, sie auf dem warmen Motorblock mit Blick zur Insel der Cavazzas, die wissen, was sie haben, und wissen, wer sie sind. Sie wusste nur in der Umarmung, was sie hatte und wer sie war, danach verlor sich dieses Wissen – es zerrann, wenn man mit anderen auf einen See fuhr. Komm doch auch, rief Renz, und sie winkte ihm mit zwei Fingern.
Ich weiß nur, wer ich bin, wenn wir uns umarmen: eher der Schluss eines Briefs von Hand als eine kurze Botschaft, rasch mit dem Daumen geschrieben und abgesendet, während die anderen schwammen, ein Stück Wiederholung, das ihr über den Abend half, das Essen an der Promenade von Salò. Die Rückfahrt dann im Dunkeln, sie tranken Grappa aus der Flasche, dazu renzsche Lieblingssongs und ein glatter See. Die Nacht, das Boot, der See: alles noch einmal in Bestform. Vila saß auf dem Bug, die Flasche in den Händen, so fuhr sie auch in den Hafen, im Eckbalkonzimmer noch ein Licht. Die Frauen stiegen aus, die Männer versorgten das Boot; Marion und Heide wollten noch etwas trinken, sie nicht, sie wollte allein zum Haus gehen. Und im Hohlweg wählte sie die Nummer, die längst ein Gedicht ohne Reim war, oder nur mit dem eines knappen, halb fragenden Ja, als wüsste der Angerufene nicht, wer anruft, und sie, noch etwas atemlos vom Anstieg: Ichbines. Darauf Bühl, in gespieltem Zweifel, Du? Und sie: Wer denn sonst. Und nach einer Pause: Es ging heute nicht anders, ich hatte nur ein paar Minuten, und morgen geht es gar nicht, morgen kommen noch Gäste an, um die muss ich mich kümmern, siehst du das ein? Kein Appell an den Verstand, ein Appell an das Mitgefühl, und er fragte, wann mit Kilian-Siedenburg zu rechnen sei. Mit deinem Schulfreund, bist du seinetwegen hier? Sie hörte ihre Stimme zwischen den Mauern, die Theatralik darin, eine Nachtszene: Frau im Hohlweg, telefonierend. Seinetwegen oder meinetwegen? Sie wollte es jetzt wissen, und als Antwort Laute, mit denen man Kinder aus Schmollwinkeln holt, am Schluss noch ein Bitte, leicht gereizt, eins wie: Denk bitte nach, nimm deinen Kopf zusammen, natürlich bin ich deinetwegen hier, auch wenn es noch etwas anderes gibt, du bist nicht das Einzige auf der Welt! Schön und gut; nur was will man sonst sein.
Sie ließ jetzt einen Arm an der Mauer schleifen, an Resten gekappter Brombeerzweige und entlang von Muschelabdrücken im uralten Stein, Siegel einer Zeit ohne Sehnsucht, Bist du noch da?, die ewige Frage, während Dornen und Vorzeitliches ihr die Armhaut öffneten, Schicht um Schicht. Ja, sagte Bühl. Und ich werde auch an dem Fest da sein, komm einfach nach oben, wenn es unten zu viel wird. Geht es dir gut? Endlich auch seine Frage, nur weniger fragend als sonst, eher mit einem Punkt oder drei Punkten dahinter, und von ihr ein Nein – nein, warum, warum sollte es mir gutgehen?, die Verbindung nach dem Nein schon von ihr unterbrochen, die letzten Worte nur für sich im Weitergehen, immer noch hart an der Mauer, das Schlussstück fast im Laufschritt, als folgte ihr jemand, und im Haus ging sie sofort ins Bad. Ihr linker, stärkerer Arm: seitlich
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