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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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Schockwellen, darum muss es gehen, rief er, als schon für den nächsten Gang, das Trüffelrisotto, Platz geschaffen wurde, und sie, die Jubilarin, stocherte noch in den Antipasti; es fiel ihr schwer, überhaupt etwas aufzunehmen, im Grunde umarmte sie weiter ihr Kopfkissen, wie als Kind tatsächlich eine Nacht lang, im Stich gelassen von einem Vater, der sie am Vortag königlich spazieren gefahren hatte. Ein zweihundertzwanzig SL, elfenbeinfarben, rote Sitze, schwarzes Verdeck, das Schönste, das je bei Mercedes vom Band lief. Der Vater fuhr mit ihr von Hannover nach Bremen und retour, einfach so, und war danach verschwunden, ein Möchtegern, den sie aber weiter liebte, ihr frühes Phantomglück – dein und mein Schicksal, so nannte es ihre Mutter, ein Schicksal, wie man es heute leicht oder locker von sich fernhalten kann.
    Vila, warum sind Sie so ruhig? Eine Frage über den Tisch, dabei das Glas gehoben und leicht gegen ihres getippt: Wilfingers Charme, und die Antwort von Renz: Vila ist nachdenklich, wie unsere Tochter, nicht wahr? Er wandte sich an Katrin, sie sollte vom Rio Xingu erzählen, von ihren Indianern, aber Katrin wollte ihr Risotto essen, also wandte er sich wieder an Wilfinger, ob nicht in dem Film ein Geburtstag Anlass sein könnte, die alten Missbrauchsdinge hochkommen zu lassen? Auch eine Frage an den Experten, und auf einmal beteiligte sich die ganze Runde. Marion Engler fand die Idee logisch, und ihr Thomas wollte gleich die Figuren klären, das Opfer, Junge oder Mädchen?, und Heide rief: Junge, auf jeden Fall ein Junge, und richtig schön! Noch ein Stichwort, richtig schön, was hieß das? Elfi war gegen den ganzen Begriff – ja müsse man überhaupt schön sein, um ein Opfer von Missbrauch zu werden. Unsinn, sagte Lutz, und Jörg schloss sich an, während Kilian-Siedenburg vorsichtig dagegenhielt. Etwas schön wohl schon, sagte er mit Blick auf Katrin, die sich ganz auf das Risotto konzentrierte. Aber was war, bitte, etwas schön? Die nächste Frage, und gleich vier, fünf Antworten, von Mona Lisa bis zum Kanzleramt. Und deine neuen Schuhe sind auch etwas schön – leise Katrinworte –, aus Verona, ja? Ein Nachhaken mit der Gabel am Mund, so, als wüsste sie, woher die Schuhe stammten, aus der Weltmode in Magugnano, nicht aus Verona, und Vila ließ sich von Fritz Wilfinger Feuer geben, damit sie aufstehen könnte, vom Tisch wegkäme.
    Sie ging mit der Zigarette zum Hafenbecken, ganz sicher, dass Bühl sie vom Zimmer aus sah. Wenn sie einen Wunsch frei hätte: mit ihm heute Nacht zurück in den Hochsommer fahren, bis nach Sizilien, wie sie es mit Renz gemacht hatte vor bald dreißig Jahren im alten Käfer, in der Tasche kaum Geld. Glutnachmittage auf durchgelegenen Betten und gegen Abend das Lärmen der Vögel, Tausender in den Bäumen vor Hotels wie dem Albergo Lampedusa, sie so alt wie Katrin heute. Damals kam sie zum ersten Mal, wie es nach allgemeiner Ansicht sein sollte, und musste vor Erschütterung weinen, obwohl es mehr Zufall war, irgendwie hatten sie alles richtig gemacht, zwei liebende Laien, die danach Rotwein mit Eisstückchen tranken und die Spaghetti klein schnitten und später Arm in Arm durch Palermo zogen, jeder mit Zigarette in der freien Hand. Die in einer Bettkuhle Hintern an Hintern schliefen und sich schon morgens liebten, im Schweiße ihres Angesichts, dann halbnackt weiterfuhren auf staubigen Landstraßen, durch reglose Orte, die Häuser unverputzt, roh. Und zwischendurch ihr Baden in kleinen Buchten oder Liegen auf Kieseln, die Hemden als Sonnensegel, und nachmittags wieder ein Hotel, das billigste, Hauptsache, ein Bett, um darin das eigene Leben in ein anderes zu schütten, bis an den Rand der Erschöpfung und weiter – Begierde ist, wenn einem zu fehlen scheint, was man eigentlich hat, und man geben möchte, was man nur zu haben glaubt, wieder und wieder; man weiß nicht, warum es einen gibt, warum man lebt, aber dass man lebt, wird zur Gewissheit. Sie stieß die Zigarette an einer der Steinbänke am Hafen aus und drehte sich um – Bühl stand in seiner offenen Balkontür, eine Flasche Wasser im Arm, wie man ein Kind hält. Er trug nur eine Hose mit Gürtel, sie war ihm über die Hüftknochen und den Bauch gerutscht, was auch etwas Schönes hatte, so still überwältigend schön wie ein Ichliebedich von Hand geschrieben, blau auf weiß. Der Fisch, rief Renz über den Hafenplatz, schau ihn dir an!
    Der Fisch, das waren vier große Branzinos in der Salzkruste,

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