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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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weiter. Die Stände nahmen kein Ende, immer wieder Fische auf Bergen von Eis, manche gemustert wie feine Handtaschen, glänzende Leiber im Licht heller Neonröhren, andere bläulich oder schamlos rot, die Mäuler so aufgespreizt, dass sie am liebsten hineingefasst hätte, sich an den Zähnen gerieben. Und immer wieder hielt man ihr Fische hin unter heiseren Rufen, ihr, der man ansah, dass sie hier keine Küche hatte, aber das Geld, den Fisch zu bezahlen, und sie bahnte sich einen Weg durch das Gedränge, Renz mit sich ziehend, weg von den Rufen, weg von den gespreizten Mäulern, etwas anderem entgegen, auch heiser und laut, nur getragener, einem Gesang aus der Trattoria. Woher wusstest du, dass ich hinter dir bin?
    Ich sah dich in einem der Spiegel, die bei den Brautkleidern hängen: der einzige Lichtblick in dieser Umgebung.
    Hast du deshalb mit Palermo nachgegeben?
    Nachgegeben, nein, sagte Renz. Ich glaube nur nicht mehr, dass alles besser wird in einem Fünf-Sterne-Hotel. Oder was willst du dort von mir, was willst du überhaupt? Dass ich irgendwann bequem sterbe, nicht als Pflegefall, ein glatter Infarkt, ja? Renz lief jetzt etwas schneller als sie, immer noch eine Hand in ihrer oder umgekehrt – wer hält wen, von Anfang an ungelöst. Was redest du da, sagte sie. Wollen wir nun in diese Trattoria? Sie wusste genau, was er redete, irgendeine Schleuse war in ihm aufgegangen, nicht weit, aber weit genug für die ersten Worte seit Jahren, die ihr Angst machten, weil sie kein Spiel waren, kein renzsches Theater. Sie ließ ihn los, und er ging ein Stück vor ihr her, auf die Trattoria zu. Die Tür war halb offen, und man sah lauter Männer an einem länglichen Tisch, die Blicke alle in die Richtung, aus der das Singen kam. Renz drehte sich um, Gehen wir hinein und hören zu. Und ich rede gar nichts mehr, dann gibt es kein exponentielles Problem. Du hast Staub im Haar, soll ich ihn wegpusten? Er beugte sich zu ihr, und sie schloss die Augen.
    DIE Trattoria Sette Bello – der Name nur provisorisch an die Tür geschrieben – war an dem Abend ein Männerlokal, ein Ort des Exils. Paarweise oder in Trauben saßen sie an langen Tischen, vierzig, fünfzig, die meisten rauchend, jenseits aller neuen Gesetze. Paradiesisch, sagte Renz beim Hereingehen, einen Arm um die Hüfte der einzigen Frau in dem folglich auch paradiesischen Dunst. Noch bemerkte sie keiner, alle sahen zu dem Sänger, obwohl er halb abgewandt saß, verkehrt herum auf einem Stuhl, auf die Lehne gestützt, auch mit Zigarette; vor ihm auf einem Tisch Laptop und Maus und zwei mächtige Boxen. Über den Schirm liefen die Textzeilen, die aktuelle markiert, aber der Sänger – gestreifter Anzug, weißes Hemd, weit offen, und im Haar eine Polizeisonnenbrille – hatte die Augen geschlossen. Vila fiel es auf, als sie einen Platz suchten; und erst jetzt kurze, ungläubige Blicke auf sie.
    Das Lied ging zu Ende, eins wie aus Filmen, die einen beglücken, aber traurig zurücklassen, und nach dem letzten Ton kam ein Bärtiger hinter dem Tresen hervor, in der Hand ein Tablett mit Wassergläsern voll Wein, der Wirt oder sein Gehilfe. Mit der freien Hand sorgte er für zwei Plätze, Plätze mit gutem Blick auf den Sänger, und gab Zeichen, dass sie sich setzen sollten. Und kaum saßen sie, standen schon Gläser vor ihnen, ein bernsteinfarbener Wein, der kühl über die Hand lief, wenn man das Glas hob. Worauf trinken wir? Vila sah zu dem Sänger, ein Mann in ihrem Alter, tiefe Stirnfalten, dunkles welliges Haar, und von Renz nur ein Achselzucken; also trank sie auf nichts oder nur ihren leeren Magen, einen Wein, der schon ins Blut ging, als der Sänger das nächste Lied anstimmte, von einem Älteren mit langem Schal durch Gesten ermuntert, sich der einzigen Frau etwas mehr zu zeigen. Und das tat er dann auch, er lachte ihr sogar zu, um den Mund etwas zurückgeblieben Junges – früher sicher der Star seines Viertels, einer, der beim Singen mit den Fingern schnippte, und hier noch immer ein Star. Vila bat den Tischnachbarn um eine Zigarette, Ende ihrer guten Vorsätze, sie hatte den Rest der Stange nach dem Fest tatsächlich in den Müll geworfen. Der Nachbar, enge Augen und ein Adamsapfel, gab ihr Feuer, sie sah durch den ersten Rauch auf Renz; seine Hand suchte ihr Bein, einen Halt wie ein Kletterer in beginnender Panik. Woran denkst du? Eigentlich eine Frage für Anfängerpärchen, zwei, die im Bett noch staunen. Was weiß ich, sagte er, und sie: Du denkst, was soll

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